Verschärftes Verhör
Kurtz hatte diese Beziehungen befürwortet, und die Taktik schien aufzugehen; Jamal hing mit ganzem Herzen an den Soldaten, und sein Englisch verbesserte sich zusehends.
Jamal griff zu Messer und Gabel und betrachtete das Essen, bevor er sich über das Kartoffelpüree hermachte. Er und Kat hatten sich ausführlich über die amerikanische Küche unterhalten, und Jamal hatte eine starke Vorliebe für Kartoffeln entwickelt.
»Ich habe Neuigkeiten für dich, Jamal«, sagte Kat. Sie rührte ihr eigenes Essen nicht an und nahm sich vor, im Aufenthaltsraum eine Tütensuppe zu kochen.
Jamal legte die Gabel weg. Das klang nicht gut. »Sie haben gesagt, ich kann nach Amerika.«
»Nein, Jamal«, korrigierte ihn Kat. »Ich habe gesagt, du könntest vielleicht nach Amerika. Das ist nach wie vor nicht ausgeschlossen. Aber zuerst wirst du nach Madrid fahren.«
»Ich will aber hierbleiben«, beharrte Jamal. Er war den Tränen nahe.
»Du kannst nicht für immer hierbleiben. Das weißt du doch. Das kann keiner von uns. In ein paar Monaten muss ich auch weg.«
Jamals Gesicht erhellte sich. Kat wusste nicht, ob sich seine Laune tatsächlich besserte oder ob er es nur um ihretwillen tat. Vermutlich Letzteres, denn sie wusste, wie verzweifelt er sich danach sehnte, ihr eine Freude zu machen. »Und später kann ich dann nach Amerika?«
»Ja.« Was hätte sie auch sagen sollen? »Ja, später.«
Kat hatte Jamal bewusst belogen, als sie ihm sagte, sie werde sich am nächsten Morgen von ihm verabschieden. Sie redete sich ein, dass es nicht aus Feigheit, sondern aus Sorge geschehen sei. Der Junge sollte vernünftig schlafen, bevor er sich auf die lange Reise machte. In Wahrheit brachte sie es nicht über sich, dabei zu sein, wenn Kurtz ihn holte, fand aber nicht den Mut, es Jamal zu sagen.
Sie hatte im Verhörzentrum gesammelt und fast hundert Dollar Taschengeld und einen beträchtlichen Vorrat an Süßigkeiten zusammenbekommen. Sie gab ihre eigene Spende dazu und opferte ihren iPod, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Sie brachte die Sachen zu den Militärpolizisten, die Nachtwache hatten, und wies sie an, sie Jamal am nächsten Morgen zu geben.
Es war fast Mitternacht, als Kat die Einrichtung verließ und den Disney Drive hinunter zum britischen Lager ging. Sie und Colin waren nicht verabredet, aber sie konnte nicht ohne irgendeinen Trost in ihr Zelt zurückkehren.
Es waren fast eineinhalb Kilometer bis zum Ende der Landebahn, und Kat zitterte vor Kälte, als sie das britische Lager erreichte. Ihre Zehen in den Stiefeln waren taub, ihre Wangen ganz rot. Und das im Juni, dachte Kat, als ihr Atem in die Luft wölkte. Der schneidende Wind, der durch ihre dünne Jacke drang, kündete von Schnee. Der Himmel war bedeckt und die Bewölkung dicht genug, um Mond und Sterne zu verbergen.
Mittlerweile kannte Kat die Militärpolizisten am britischen Tor. Colins Team hatte das Lager seit dem Tod des Iraners vor beinahe zwei Wochen nicht verlassen, und sie war zu einer regelmäßigen Besucherin geworden. Normalerweise brachte sie den MP eine Kleinigkeit mit – die britischen Soldaten liebten besonders die Päckchen mit Getränkepulver, die die Amerikaner seltsamerweise in jedem Paket erhielten –, doch an diesem Abend kam sie mit leeren Händen.
Der Wachposten winkte sie durch, und sie entschuldigte sich mit einem Achselzucken. »Beim nächsten Mal habe ich wieder was dabei«, sagte sie und atmete in ihre gewölbten Hände.
»Schon gut«, erwiderte er mit einem verlegenen Lächeln, weil er in das heimliche Spiel einbezogen wurde. Inzwischen war allen klar, dass Kats Besuche nicht offizieller Natur waren. »Sie sind nebenan«, sagte er und deutete in die Richtung, aus der sie gekommen war.
Kat blickte über die leere Straße zu dem mit Stacheldraht eingezäunten Bereich, der offiziellen Einsatzzentrale der Spezialkräfte. Der Zutritt war nur Angehörigen der Spezialkräfte gestattet. Kat hatte sich nie hineingewagt und zögerte auch jetzt, doch die Vorstellung, frierend und von Schuldgefühlen geplagt in ihr Zelt zurückzukehren, war unerträglich. Sie winkte dem britischen MP zu und trottete über den Disney Drive zum Lager der Spezialkräfte, dessen Eingang nicht bewacht wurde.
Der Sitz der Spezialkräfte sah völlig anders aus als das benachbarte britische Lager mit seinen ordentlichen Zeltreihen, bunten Flaggen und dem kolonialen Gepräge und erinnerte eher an ein postapokalyptisches Studentenheim. Gleich hinter dem Tor
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