Verschärftes Verhör
Tür schlagen, zwei Stimmen ertönten. Kurtz’ herrisches Arabisch, die Antworten des alten Mannes. Kat drückte fest auf ihren Nasenrücken und holte tief Luft. Kurtz sollte sie nicht so sehen. »Es tut mir leid«, sagte sie zu Colins Vater. »Ich muss jetzt Schluss machen.«
»Es sind nicht viele von uns übrig«, sagte Adil und goss den letzten Tee in die angeschlagenen Tassen. Er zählte die Namen der anderen auf, die die Reise in den Norden gewagt hatten.
Jamal schaute auf seine Füße. Es war ein Festmahl gewesen, und er schämte sich, dass er die großzügigen Gästeportionen angenommen hatte. Seine eigene Gier widerte ihn an.
Irgendwo in der Ferne, jenseits der Mauern von Ain Chock, ertönte der Gebetsruf. Asr, dachte Jamal, drei Fünftel des Tages waren schon vorüber. Es hatte eine Zeit gegeben, da der Ruf des Muezzins selbstverständlich gewesen war, doch war ihm die Aufteilung des Tages fremd geworden. Es würde eine Weile dauern, bis er sich wieder daran gewöhnt hatte.
Mahjoub trank seinen Tee aus und erhob sich von der Gemüsekiste, die als Tisch diente. »Ich gehe in die Moschee«, verkündete er und warf einen letzten Blick auf Jamal, bevor er gebückt durch die niedrige Tür der Hütte trat.
»Mach dir wegen ihm keine Sorgen«, sagte Adil, nachdem Mahjoub gegangen war. Er spürte, dass Jamal sich in dessen Gegenwart nicht wohl fühlte. »So übel ist er nicht. Und er kann uns Sachen besorgen. Er kennt Leute in der Moschee.«
Jamal nickte verlegen. Diese Art der Wohltätigkeit kannte er nur zu gut.
»Auf unseren lieben Direktor«, sagte Adil und hob die Teetasse. Es war ein Witz von früher, der ausdrückte, was die Jungen nicht offen zu sagen wagten.
»Auf den Direktor«, erwiderte Jamal und fügte spontan hinzu: »Ich bin in Schwierigkeiten.«
Adil stellte seine Tasse ab. »Jetzt bist du zu Hause«, erwiderte er ernst.
Jamal schüttelte den Kopf. »Ich hätte nicht herkommen dürfen.«
»Scht«, schalt Adil ihn mit sanfter Stimme. »Du bist müde. Du wirst heute Nacht schlafen, und am Morgen sieht alles ganz anders aus.«
Jamal wusste, dass er besser gehen sollte, brachte es aber nicht über sich, die bescheidene Behaglichkeit von Ain Chock zu verlassen. Vor lauter Erschöpfung begann er zu weinen. »Morgen früh werde ich gehen«, sagte er. »Versprochen.«
Adil legte ihm die Hand auf die Schulter. »Bruder, du wirst so lange bleiben, wie es nötig ist.«
22
Afghanistan 2002
Am Morgen, an dem Jamal Bagram verließ, blieb Kat in ihrem Zelt, bis sie die frühe Transportmaschine auf der Landebahn hörte. Als sie sich um kurz nach neun zum Dienst meldete, herrschte Chaos in der Einrichtung. Die großen Käfige waren zum Bersten gefüllt.
»Verdammt nochmal, wo sind Sie gewesen?«, knurrte der diensthabende Offizier Kyle Hewson, ein Wirtschaftsfachmann aus Iowa, als sie das Verhörzentrum betrat.
»Jetzt bin ich ja hier«, meinte sie achselzuckend.
»Ich hätte Sie vor fünf Stunden gebrauchen können«, ätzte Hewson und wandte sich wieder seinem Computer zu, als wollte er nicht noch mehr Zeit an sie verschwenden. »Hariri braucht Sie in Nummer sieben. Er bringt Sie auf den neuesten Stand.«
Es war reine Idiotie, zwei der wenigen arabisch sprechenden Mitarbeiter in einer Kabine einzusetzen, passte aber zu Hewson, der seine Entscheidungen nach irgendwelchen undurchsichtigen Managementkriterien traf. Kat stand es jedoch nicht zu, seine Entscheidungen in Frage zu stellen. Dankbar für die Gnadenfrist, begab sie sich ins Hauptgeschoss des Gefängnisses, in dem die Verhörkabinen untergebracht waren.
Auf dieser Etage befanden sich die VIP-Zellen, auch jene, in der Jamal gesessen hatte. Kat spürte einen Druck im Magen, als sie sich der früheren Unterkunft des Jungen näherte. Die Decke, die gewöhnlich als Tür diente, lag auf dem Boden, und sie konnte nicht umhin, einen Blick hineinzuwerfen. Fast rechnete sie damit, das einfältige Grinsen des Jungen zu sehen. Er hatte den von der Armee herausgegebenen Koran und einen Stapel eselsohriger Comics zurückgelassen. Seine übrigen Habseligkeiten – ein Kalender mit Strandfotos, den Kat einer hawaiianischen Krankenschwester für einen Spottpreis abgekauft hatte, und ein Trikot von Manchester United, das Colin beim Pokern im britischen Lager gewonnen hatte – waren verschwunden. Sie zwang sich, weiterzugehen.
Bei der Arbeit in der Verhörkabine musste sie immer an die Hundejahre denken. Eine Stunde, die sie mit einem Gefangenen
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