Verschärftes Verhör
verbrachte, erschien ihr oft siebenmal so lang. Kat wusste nicht, wie lange Hariri an diesem Morgen schon im Dienst war, merkte aber sofort, dass seine Kraft bereits erschöpft war.
»Was ist los?«, erkundigte sie sich, als Hariri zu ihr in den Gang trat. »Hewson ist wieder auf hundertachtzig.«
Er kam näher und flüsterte: »Keiner will es bestätigen, aber die MP sagen, letzte Nacht sei jemand geflohen.«
Kat musste unwillkürlich lachen. In Kandahar hätte sie es geglaubt. Die Sicherheitsvorkehrungen in der dortigen Einrichtung waren nicht sonderlich streng, doch die Vorstellung, jemand könne aus Bagram entkommen, war absolut lächerlich.
Die Käfige selbst waren vollkommen durchsichtig, von oben beleuchtet und wurden rund um die Uhr von Militärpolizisten bewacht. Die Gefangenen verließen sie nur, wenn man sie zum Verhör brachte, und dann unter den strengsten Sicherheitsvorkehrungen. Sie wurden durch eine Sicherheitsschleuse geführt, in der man ihnen Fußfesseln anlegte, und auf Schritt und Tritt von mindestens zwei Militärpolizisten begleitet. Und das galt nur innerhalb des Gebäudes. Sollte es tatsächlich jemandem gelingen, aus den Käfigen zu entkommen, lagen noch eine Reihe von Mauern und Elektrozäunen vor ihm. Gleich außerhalb des Gefängnisses befand sich zudem eines der am stärksten verminten Gelände in ganz Afghanistan.
»Du willst mich wohl verarschen«, sagte Kat. »Hier kommt nicht mal Spiderman raus.«
Hariri schüttelte mit ernster Miene den Kopf. »Wie ich hörte, war es der zweite Iraner, der, dessen Freund drüben in der zivilen Einrichtung gestorben ist.«
Kat sah ihn fassungslos an. »Willst du behaupten, er sei einfach so hinausspaziert?«
Hariri zuckte mit den Schultern. »Ich sage dir, er ist weg.« Dann senkte er wieder die Stimme und warf einen vorsichtigen Blick über die Schulter. »Es heißt auch, dass die Jungs von den Spezialkräften durch Wände gehen können.«
»Was willst du damit sagen?« Die Andeutung war klar, doch sie wollte es aus seinem Mund hören. Ihre Beziehung zu Colin war hier ein offenes Geheimnis.
»Es tut mir leid, Kat, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Jungs allzu traurig darüber sind.«
Er hatte natürlich recht. Wenn in der Salzgrube etwas Illegales geschehen war, hatte Colins Team sowohl das Motiv als auch die Gelegenheit, den Iraner loszuwerden; er war der einzige Zeuge für den Tod des anderen Gefangenen. Kat wollte es aber noch immer nicht wahrhaben. »Ich kenne die Leute aus dem Team«, beharrte sie. »Sie mögen sich nicht immer an die Regeln halten, aber so etwas würden sie nicht tun. Ich meine, überleg doch mal, was du da sagst.«
Hariri nickte. »Du hast sicher recht«, sagte er skeptisch.
Kat deutete auf die Verhörkabine. Es war besser, sich jenen Dämonen zu stellen, die man bekämpfen konnte. »Hewson hat gesagt, du würdest mich auf den neuesten Stand bringen.«
Marokko
Erst Colin und jetzt auch noch Stuart, dachte Kat erschüttert, als der Wagen durch die smogerstickten Vororte von Casablanca nach Süden holperte. Colins Selbstmord hätte sie noch akzeptieren können. Als weiteres Zeichen, wie wenig sie einander in Wahrheit gekannt hatten. Zwei Todesfälle hingegen konnten kaum als Zufall durchgehen.
Kat schaute zu Kurtz hinüber, betrachtete sein Profil und die Hände am Lenkrad. Wusste er Bescheid? Hatte er die ganze Zeit von Colins Tod gewusst?
Er schaute sie an. »Stimmt was nicht?«
Kat schüttelte den Kopf. In wenigen Tagen sollte die Militärgerichtsverhandlung beginnen, und nun waren beide tot. Sie waren tot, und sie selbst suchte mit Kurtz nach dem Jungen, der damals zusammen mit den Iranern nach Bagram gekommen war. Nein, das alles konnte kein Zufall sein.
»Ich habe über Jamal nachgedacht«, erklärte sie mit erzwungener Ruhe. »Was passiert, wenn wir ihn finden?«
Kurtz blickte zerstreut über die Schulter, als er die Spur wechselte. Es war später Nachmittag, kurz vor Feierabend, und die Leute fuhren trotz des dichten Verkehrs in einem selbstmörderischen Tempo. »Wie weit noch?« Er deutete auf die Karte, die er ihr gegeben hatte.
Kat wusste wenig über das Waisenhaus von Ain Chock. Jamals Bericht war ziemlich dürftig gewesen. Er hatte mehrfach erwähnt, dass es im Süden der Stadt lag, doch den genauen Ort hatte Kat während ihrer Gespräche in Bagram nicht herausfinden können. Kurtz hingegen kannte ihn. Er hatte wohl damit gerechnet, hierherzukommen.
Kat faltete die Straßenkarte
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