Verscharrt: Thriller (German Edition)
gefährden. Ohne Alkoholtest konnte der Detective nur für das Überfahren des Stoppschilds belangt werden, und ein Jahr später setzte er sich bei vollen Rentenbezügen zur Ruhe. Seine Vorgesetzten aber waren stocksauer, und jetzt ist Jandorek der einzige altgediente Detective einer Mordkommission in der ganzen Stadt, der seither nicht weiter befördert wurde und wahrscheinlich auch nie wieder befördert werden wird.
Endlich lässt sich die Oberschwester der Intensivstation, Evelyn Priestly, dazu herab, O’Hara und Jandorek ins Bild zu setzen. Wie Williamson ist auch sie eine große gut aussehende Karibin, und im Vergleich zur käsigen Gesichtsfarbe der Männer und Frauen, die hier herumsitzen, glänzen ihre Wangen und ihre Stirn.
» Detectives, ich nehme an, Sie sind hier, um sich nach dem Zustand von Ted McBeth zu erkundigen, der heute Morgen ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Ich habe erfreuliche Nachrichten– wobei sie aus Ihrer Sicht vielleicht gar nicht so erfreulich sind: Der junge Mann hat die zweite Operation sehr gut überstanden und ist außer Lebensgefahr. «
» Können wir mit ihm sprechen? « , fragt O’Hara. » Auch wenn der Versuch nicht von Erfolg gekrönt war, so wollte ihn doch immerhin jemand töten. «
» Er hat darum gebeten, nicht gestört zu werden. «
» Dann vielleicht morgen? «
» Er hat gesagt, er möchte während seines Aufenthalts im Krankenhaus nicht mit der Polizei sprechen. Und ich muss Sie wohl nicht an die HIPPA -Satzung erinnern, die vorschreibt, dass die Wünsche des Patienten Vorrang haben. «
» Danke « , sagt Jandorek. » Wir wissen das zu schätzen, ganz besonders Ihre Freundlichkeit. «
Zwei Straßenecken weiter macht Jandorek an einem Drugstore halt und kommt mit einem rezeptfreien Zaubertrank namens Sambucus wieder. Sobald er wieder im Wagen sitzt, reißt er die Verpackung auf und nimmt einen langen Schluck direkt aus der Flasche. » Sirup fürs Immunsystem « , sagt er. » Wird aus Holunder und Echinacea gemacht. Mein Freund bei der Mordkommission in Brooklyn schwört drauf. «
KAPITEL 4
Als O’Hara ihren alten Jetta vor dem Hydranten in der Sixth Street parkt, reicht das Licht des Sommerhimmels kaum noch zehn Minuten. Sie lässt ihre NYPD -Marke aufs Armaturenbrett fallen und geht über die Straße auf einen hohen Zaun zu, der sich über den halben Straßenzug auf der Westseite der Avenue B zwischen der Fifth und der Sixth Street erstreckt. Der Eingang ist verschlossen, aber das Licht reicht noch, um zu erkennen, was auf dem Schild steht– » Sixth Street und Avenue B Gemeinschaftsgarten « –, sowie das dekorative Muster aus Kinderhänden auf dem grünen Stahl über dem Schild. Auf Hüfthöhe hängt neben einem leuchtend gelb-grünen, an den Zaun geketteten Fahrrad ein weiteres dekoratives Metallschild mit dem Entstehungsjahr des Gartens: 1983. Immerhin existierte er schon, als der alte Mann ihn in einen Friedhof verwandelt haben will.
In der immer undurchdringlicher werdenden Dämmerung späht O’Hara durch die ungestutzten Sträucher und immergrünen Pflanzen, die von innen gegen den Zaun drängen, als wollten sie fliehen. Das wenige, was sie von dem Garten sehen kann, ist nicht halb so hübsch wie das Tor davor. Auf engstem Raum tummeln sich Dutzende jeweils mit Holzbrettern eingefasste Beete, etwa ein Meter fünfzig mal zwei Meter groß. Alles andere– davor dahinter und drum herum– ist visuelles und vegetatives Chaos. Der stechend scharfe Geruch nach urbaner Verwesung liegt in der feuchten Nachtluft, ein Geruch gleichzeitig des Wachsens, Sprießens und Absterbens. Seit ein paar Wochen liegt eine malzige, Brechreiz erregende Wolke über Lower Manhattan, und sie fragt sich, ob sie vielleicht von hier kommt.
Die Nacht senkt sich rasch. O’Hara kann nicht weiter als bis auf sechs Meter Einzelheiten erkennen. Auf der düsteren Fläche, die sie noch überschauen kann, lässt die gärtnerische Gesetzlosigkeit auf einen Montessori-Friedhof schließen. Mit Steinplatten befestigte Fußwege fangen vielversprechend an, enden aber oder verschwinden, als hätten die Plattenleger das Interesse verloren, sich zerstritten oder einen Joint geraucht. Zwischen zwei Bäumen steht eine kaputte Leiter, die ins Nichts führt– vier Sprossen, mehr nicht. Der Garten ist ein einziges verschlungenes Durcheinander; man könnte hineinspazieren und niemals wieder herausfinden.
Das Licht reicht gerade noch, um ein paar Tische, einen Torbogen und eine Art größeres
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