Verscharrt: Thriller (German Edition)
verhaftet wurde und zum letzten Mal, wegen desselben Vergehens, kaum zwei Straßenecken weiter an der Ecke Second Avenue und St. Mark’s Place, fünfundvierzig Jahre später, im Alter von zweiundsechzig. Dazwischen liegen hundertfünfzig weitere Festnahmen, die überwältigende Mehrheit davon auf relativ engem Raum in der Lower East Side und dem East Village. Wollte man Junkies einen Ehrenpreis für ihr Lebenswerk verleihen, denkt O’Hara, käme man an dem Mann hier kaum vorbei.
Sie wendet sich wieder Williamson zu. » Paulette, ich werde Ihren Namen ebenfalls überprüfen. Bevor ich das mache: Gibt es etwas, das ich wissen sollte? «
Williamson starrt O’Hara durchdringend an und schüttelt dann müde den Kopf, als wollte sie sagen, sie hätte wissen müssen, dass dies der Dank dafür war, dass sie sich in ihrer Freizeit herbemüht hat.
» Ich hatte selbst mal ein Drogenproblem, Detective O’Hara. Vor acht Jahren hab ich zwei gestohlene Schecks eingelöst. Seitdem bin ich clean. Letztes Jahr hab ich alles zurückgezahlt, bis auf den letzten Cent. «
O’Hara gibt Williamsons Namen ein, und die Ergebnisse bestätigen die Geschichte.
Die letzte Festnahme war ’99.
» Die Schecks beliefen sich insgesamt auf fast elftausend Dollar « , sagt O’Hara und blickt auf den Bildschirm. » Das ist eine Menge Geld. Wie haben Sie das zurückgezahlt? «
» Ich habe gearbeitet « , sagt Williamson, lässt es aber eher nach » fick dich « klingen.
» Werden Sie der Sache nachgehen? «
» Das möchte ich bezweifeln « , sagt O’Hara, » aber danke, dass Sie gekommen sind. «
Williamson steht auf, um zu gehen, zögert dann aber und blickt auf O’Hara runter. » Ich hatte ein Problem, Detective. Das ist wahr. Aber im Gegensatz zu anderen, hab ich mich meinem Problem gestellt. «
McBeth hat die erste Operation überstanden und wird zwei Stunden später für eine zweite wieder in den Saal gefahren. Als O’Hara und Jandorek die Notaufnahme des St. Vincent’s betreten, ist es fast 19 Uhr. Die Schwester an der Anmeldung kann das gefürchtete Wartezimmer durch ein Fenster überschauen. Darüber erklärt ein Schild allen Neuankömmlingen, dass Patienten je nach Schwere ihres Zustands und nicht in der Reihenfolge ihres Erscheinens behandelt werden. Jandorek macht O’Hara auf ein zweites Schild aufmerksam, auf dem steht: » Verbreiten Sie keine Bakterien! Bitte nehmen Sie die Hand vor den Mund, wenn Sie husten. «
» Meinst du, die Wichser nehmen eine Hand vor den Mund, wenn sie husten? Im Leben nicht. «
Man teilt ihnen mit, dass die für die Intensivstation zuständige Schwester auf dem Weg zu ihnen ist, aber nach zwanzig Minuten ist sie noch immer nicht da. Sich mit Jandorek in einem Krankenhaus aufzuhalten, erinnert O’Hara an die Ereignisse, die ihn unter den Kollegen zu einer Legende gemacht haben. Vor zwölf Jahren, als Jandorek noch bei der Mordkommission in Queens war, wurde er zum Gewerkschaftsvorsitzenden gewählt, eine Vollzeitstelle, die ihn von sämtlichen Aufgaben als Detective entband. Karrieretechnisch können sich ein paar Jahre im Dienst der Gewerkschaft sowohl positiv wie auch negativ auswirken, aber wenn man bereits bei der Mordkommission ist und die nächste Beförderung damit im Grunde garantiert ist, hat man kaum Vorteile. Jandorek nahm den Job trotzdem an und erwies sich als brauchbarer Vertreter seiner Kollegen, aber ein Vorkommnis machte ihn unsterblich. Vor ungefähr zehn Jahren überfuhr ein Detective aus Brooklyn am Ende einer durchzechten Nacht ein Stoppschild und rammte einen anderen Wagen. Obwohl der Detective nur zwei gebrochene Rippen davontrug, wurden beide Passagiere in dem anderen Wagen– eine Kindergärtnerin und ihr Ehemann– getötet. Jandorek erhielt den Anruf mitten in der Nacht. Er riet dem Detective, kein Wort zu sagen, bis er selbst dort einträfe, und vor allem sollte er auf keinen Fall ins Röhrchen pusten. » Sag ihnen, du hast zu große Schmerzen « , meinte er, » sag, du kriegst keine Luft. « Wenige Minuten später trafen sowohl Jandorek wie auch der Staatsanwalt am Unfallort ein. Der Staatsanwalt wollte den Detective unbedingt drankriegen– schließlich hatte er sich betrunken ans Steuer gesetzt und zwei Menschen auf dem Gewissen. Aber Jandorek weigerte sich, den Fahrer pusten zu lassen. Er habe drei gebrochene Rippen und könne kaum atmen, behauptete er, und einem Beamten in dieser Verfassung sei ein Alkoholtest nicht zumutbar, der Test könne sein Leben
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