Verschleppt ins Tal Diabolo
irgendwo aus. Angeblich sind wir ja auf
dem Weg nach Genua, um mit der Fähre nach Afrika überzusetzen. Tunesien oder
so. Das erwähnen wir beiläufig. Aber kein Wort vom Tal Diabolo.“
„Kennst du da jemanden?“
Olaf schüttelte langsam den
Kopf. „Aber ich war dort. Vor fünf Jahren. Auch unsereins braucht Erholung. Und
soll ich dir sagen, wen ich da gesehen habe: unseren verehrten
Oberbürgermeister, diesen Stinkstiefel. Dr. Clüngel-Fründe samt Familie. Das
hat mich interessiert und ich bin da ‘ne Weile rumgeschlichen, denn der
Obermotz hat in einem abseitsgelegenen Ferienhaus campiert. Ich war mit dem
Motorrad da. Ich habe in der Nähe gezeltet und wir kamen ins Gespräch. Am
Nummernschild sah er, dass ich von hier bin und sofort war er aufgeräumt und
zugänglich wie das Politiker draufhaben, wenn sie die Stimme des Wählers
wittern — vorsorglich für die nächste Wahl.“
„Nicht übel. Und?“
„Das Ferienhaus gehört ihm.“
„Dachte ich mir fast.“
„Er würde es gern im Winter
benutzen, hat er erzählt. Aber das klappt nie. Und von Mai bis August ist es
für ihn dort lebensgefährlich. Denn dann blühen 28 verschiedene Gräser und
Sträucher und Blumen, auf die er irre allergisch reagiert. Mit Hautjucken und
Asthma-Anfällen, Brechdurchfall und tränenden Augen. Nur im September oder
Oktober macht er dort Urlaub.“
Stritzi lachte auf. „Der OB ist
also Pollen-Allergiker. Wozu braucht er dann ein eigenes Ferienhaus?“
„Habe ich mich auch gefragt.
Aber wer weiß schon, was abläuft im Kopf eines Oberbürgermeisters. Jedenfalls
haben wir ein herrliches Quartier.“
„Genial, Olaf. Was
Clüngel-Fründes Sohn betrifft, kann ich dich auch beruhigen. Der ist ja in hem
Alter, wo man schnell mal ‘nen Trip macht mit der Freundin. Aber Eugen-Marcel
hat was anderes vor, jedenfalls zurzeit. Hast du’s gelesen?“
„Nee. Was meinst du?“
„Stand in der Zeitung. Der OB
samt Anhang fliegt auf die Seychellen. Der Sohnemann will es so.“
„Braver Junge.“
„Du sagst es.“
14. Stritzis Zimmer
In Zimmer elf roch es
menschlich. Als hätte sich jemand, der weder Warm- noch Kalt-Duscher ist, sehr
lange hier aufgehalten und nur selten gelüftet. Tim nahm diese menschliche
Ausdünstung auf und dachte: Wenn der in der U-Bahn neben mir steht, würde ich
ihn wiedererkennen, wüsste ich, wer’s ist — auch wenn ich ihn noch nicht
angeguckt habe.
Gaby rümpfte ihr klassisches
Näschen. „Hier stinkt’s.“
Karl und Klößchen nickten.
Samirer hatte sich
zurückgezogen, tief erschüttert darüber, dass ein schwerer Junge, ein Krimineller,
hier logiert hatte — in der Pension seiner Lebensgefährtin, die immer noch beim
Friseur war.
„Schauen wir mal!“, sagte Tim.
„Viel Zeit haben wir nicht. In zehn Minuten ist Wespe da. Vielleicht entdecken
wir was, das seinem Scharfblick und dem seiner Leute entgehen würde.“
Das Zimmer war mittelgroß und
lag straßenseitig. Zwei Doppelfenster. Vom weißgestrichenen Fensterbrett
bröselte die Farbe ab. Die Wände waren sommerlich-luftig tapeziert: kleine
rot-blaue Blümchen auf gelbem Grund. Ein Doppelbett aus den Sechziger Jahren.
Stritzi hatte die linke Seite benutzt und die Kissen zerwühlt. Von dorther kam
die Ausdünstung. Der Kleiderschrank war etwas jüngeren Datums. In die
Frontseite war ein riesiger Spiegel eingelassen. Ein kleiner Tisch, zwei
Sesselchen, auf der Tischdecke eine Vase mit einer gelben Plastikrose. Der
Teppich, der den Boden von Wand zu Wand bedeckte, war verschlissen.
Karl trat zu den Fenstern. Sie
waren mit Vorhängen umrahmt und die ließen sich schließen, damit nachts die
Lichter der Großstadt nicht allzu sehr hereingrellten.
Karl bückte sich und prüfte den
bodennahen Vorhangstoff.
„Dachte ich mir. Wer aus dem
Knast kommt, hat Manieren wie ein Hunne. Stritzihoff hat sich die Schuhe mit
dem Vorhang geputzt, dieses Ferkel.“
„Immerhin“, feixte Klößchen,
„hält er auf saubere Latschen.“
„Ich hab was“, rief Gaby aus
dem Bad.
Die schmale Tür war neben dem
Kleiderschrank, das Bad eine enge Nasszelle mit Milchglasfenster zur Straße. Es
gab eine Dusche mit Plastikvorhang, ein Waschbecken und die Kloschüssel. Unter
dem Waschbecken stand ein fast zur Gänze gefüllter Abfallkorb. Mit spitzen
Fingern hatte Gaby einen großen, bedruckten Faltbogen herausgezogen.
Sie drängte die Jungs ins
Zimmer zurück und warf den Bogen aufs Bett — auf die unbeschlafene Seite.
Es war ein Stadtplan
Weitere Kostenlose Bücher