Verschollen
laut schnarchten.
Es war noch dunkel, als er wieder aufschreckte. Die Waschschüsseln, die neben der Tür standen, schepperten und die dicken Wachskerzen, die in Wassergläsern schwammen, schaukelten hin und her. Sand rieselte von der Decke und der Boden zitterte leicht.
»Erdeben!«, rief jemand.
Tristan sprang auf, doch fast alle anderen im Raum kamen ebenfalls auf die Beine und stürmten auf den Ausgang zu. Tristan wurde grob zur Seite gestoßen und verlor beinahe das Gleichgewicht. Über ihm ächzten die Dachbalken und noch mehr Sand rieselte zu Boden. In Panik drängte sich Tristan weiter zur Tür und schlüpfte neben einem Mann in den Flur. Hier blieb ihm in der Enge beinahe die Luft weg, doch schließlich gelang es ihm, sich in den Schankraum zu zwängen. Er überholte zwei ältere Männer und gelangte endlich schwer atmend ins Freie. Erst hier bemerkte er, dass das Beben schon wieder aufgehört hatte. Hastig blickte sich Tristan nach seinen Gefährten um und sah erleichtert, dass sie alle unverletzt waren.
Auch aus den angrenzenden Häusern waren die Menschen ins Freie geeilt. Es gab zum Glück nur einige Leichtverletzte und kein Gebäude schien ernsthaft beschädigt. So flaute die allgemeine Panik schnell ab, dennoch blieben alle Menschen auf der Straße aus Sorge vor einem weiteren, vielleicht heftigeren Beben. Man tuschelte miteinander und dann verbreitete sich wie ein Lauffeuer die Nachricht, dass der Vulkan ausgebrochen war. Ein Wachtposten auf dem Turm der steinernen Festung habe eine Aschewolke aus dem Krater des Iphigon aufsteigen sehen, hieß es.
Darius eilte sofort zu der Festung und Tristan blieb bei ihm. Darius begehrte Einlass zum Turm und beim Anblick seiner Male zögerte der wachhabende Soldat nicht lange und ließ sie ins Treppenhaus. Dort gab es keine Fenster oder Schießscharten, sodass sie erst alle Stufen bis zur Plattform erklimmen mussten, ehe sie etwas sehen konnten. Die Spannung, die Tristan während des Aufstiegs empfand, war kaum auszuhalten. Wenn es nun wirklich der Iphigon war, der Ort wo das Portlet versteckt war, dann gab es keinen Weg mehr nach Hause, keine Rettung mehr für Svenja. Dann war alles umsonst gewesen. Er horchte in sich hinein. Waren die großen Kräfte, die ihm das Amulett verlieh, noch zu spüren, war das Amulett noch unversehrt? Es erschien ihm so.
Außer Atem erreichten sie die Spitze des hohen Turms. Die Aussicht über den Wald war atemberaubend. Gerade sandte die Sonne die ersten Strahlen über den Horizont und ließ alles in rotem Licht aufleuchten. Der Vulkan hob sich als großer Schatten davor ab und aus seinem Krater stieg ohne Zweifel eine Wolke. Doch es war nicht die riesige Rauchsäule, die Tristan erwartet hatte, sondern eine schmale Rauchfahne. Wenn es ein Ausbruch gewesen war, dann offenbar nur ein schwacher.
»Das war kein Ausbruch«, stellte Darius fest und auch ihm war die Erleichterung anzusehen. »Aber es war eine Warnung, eine Eruption könnte bald folgen. Wie weit ist es von hier bis zum Vulkan?«, fragte er den Soldaten, der auf dem Turm gestanden hatte.
»Über die Straßen ist es ein …«
»Nein, wie der Vogel fliegt, meine ich«, unterbrach Darius.
»Oh, das weiß ich nicht, Herr. Dreißig, vierzig Meilen vielleicht.«
Darius nickte. »Dann seid auf der Hut. Bei einem schweren Ausbruch könnte euer Dorf unter Asche begraben werden, wenn der Wind ungünstig steht. Ihr solltet Vorräte anlegen, womöglich wird lange kein Kaufmann mehr hierher kommen und euch mit Lebensmitteln versorgen. Sagt das euren Stadtoberen. Komm, Tristan. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Sie eilten die Treppe wieder hinab und zu den anderen zurück. »Holt eure Sachen«, befahl Darius. »Wir brechen sofort auf.«
Alle holten ihre Waffen und ihre Rucksäcke und trafen sich dann am Stall. Hastig zäumten sie die sechs Nobos auf, die allerdings sehr träge waren, da noch kaum ein Lichtschein auf das Dorf fiel. Bis dahin würde es zwar nicht mehr lange dauern, aber sie würden die müden Echsen zunächst ziehen müssen.
»Muss das sein?«, murrte Katmar. »Lasst uns lieber ein wenig warten, bis es so hell ist, dass wir sofort reiten können.«
Darius schien nicht begeistert, sah aber ein, dass sie mit den trägen Nobos im Schlepptau ohnehin nur im Schneckentempo vorankommen würden. »Na schön. Wir sollten die Gelegenheit nutzen, um uns zu verabschieden. Wenn wir an die Gabelung kommen, wo wir uns trennen, werden wir dafür keine Zeit haben,
Weitere Kostenlose Bücher