Verschollen am Mount McKinley - Alaska Wilderness ; 1
hervorschaute und die Gefahr eines Sturzes noch größer war.
»Einer hinter dem anderen«, erinnerte Carol die Wanderer, »und passen Sie auf, dass Sie nicht auf die Schneeschuhe Ihres Vordermannes treten. Lassen Sie sich Zeit, wir kommen früh genug im Tal an. Da unten gibt’s eine gemütliche Hütte, die wir Ranger auf Patrouillenfahrten als Außencamp benutzen. Dort werden wir übernachten … auf Matratzen neben einem warmen Ofen!«
Auch auf dem gewundenen Pfad ging Carol voraus. Als dienstälteste Rangerin hatte sie die Verantwortung für die Wandergruppe, und jede andere Entscheidung hätte sie in Schwierigkeiten bringen können. Julie bewunderte, wie sicher sie sich auf ihren Schneeschuhen bewegte, als wäre sie auf einem asphaltierten Weg und hätte Turnschuhe an, und wie sie ihr Tempo dem unsichersten Mitglied der Gruppe anpasste. Doch selbst Scott Jacobsen war während der letzten Stunden sicherer geworden und hielt sie kaum noch auf.
Inzwischen war es dunkel, und die einzige Helligkeit kam vom Mond und den Sternen, die sich zwischen den aufziehenden Wolken zeigten. Das Nordlicht meldete sich nur schüchtern, flackerte in grünen und weißen Mustern über den Himmel und spiegelte sich auf dem Schnee. Um besser sehen zu können, hatten Julie und Carol ihre Stirnlampen aufgesetzt und eingeschaltet, eine reine Sicherheitsmaßnahme bei dem reflektierenden Schnee, der selbst weit unten in der dunklen Schlucht den Weg wies. Julie stellte ihre Lampe so ein, dass der Lichtkegel zwischen die Beine der anderen fiel und jedem half.
Während des Abstiegs verschlechterte sich das Wetter zusehends. Oben fielen nur vereinzelte Schneeflocken vom Himmel herab, auf halber Höhe hatte sich bereits ein leichtes Schneetreiben gebildet, und Julie war kurz davor, ihre Schutzbrille aus der Anoraktasche zu ziehen. Gerade als sie danach greifen wollte, rutschte Chris vor ihr aus und stürzte zu Boden. Sein Schwung war so groß, dass er vielleicht sogar über die Böschung geschlittert wäre und sich der Unfall von vorhin wiederholt hätte, aber Julie reagierte blitzschnell und bekam ihn mit einer Hand am rechten Arm zu fassen. Sie hielt ihn rechtzeitig fest und verhinderte Schlimmeres. Er stemmte sich vom Boden hoch, atmete erleichtert auf, als er feststellte, dass er sich nicht ernsthaft verletzt hatte, und grinste unsicher. »Verflucht glatt hier«, sagte er verlegen. Es klang wie eine Entschuldigung. »Ich wär beinahe wieder auf Tauchstation gegangen.«
Sie liefen jetzt noch vorsichtiger, konnten von Glück sagen, dass neuer Schnee fiel und den Trail etwas griffiger machte. Einmal rutschte Jacobsen aus und hielt sich im letzten Augenblick an Ruth fest, ein anderes Mal verlor Ruth das Gleichgewicht, und Jacobsen fing sie auf. Jetzt erkannte Julie auch, warum »Nur für geübte Wanderer!« auf der Einladung zum Ausflug gestanden hatte. Streng genommen, hätten Kati und Jacobsen gar nicht mitkommen dürfen. Für Anfänger gab es eine leichtere Tageswanderung am Savage River.
Dennoch war auch Julie froh, als sie den Grund des Tales erreicht hatten und endlich keine Steigung mehr vor ihnen lag. Dafür häuften sich Schneeverwehungen, die sie stellenweise zu weiten Umwegen zwangen. Im Tiefschnee war es auch auf Schneeschuhen anstrengend, größere Entfernungen zurückzulegen, und bis zu der Blockhütte waren es noch zwei Stunden. »Dafür geht es immer geradeaus«, tröstete Carol die Wanderer. »Und wenn wir dicht an der Felswand bleiben, kommen wir auch einigermaßen vorwärts.«
Wie die Teilnehmer, die sich zum ersten Mal in dem lang gestreckten Tal aufhielten, war auch Julie begeistert von der urwüchsigen Natur dieser abgelegenen Schlucht. Wie eine Landschaft aus »Star Wars« oder »Star Trek« öffnete sich die Schlucht vor ihnen, verlassen und wild, bis auf ein paar verkrüppelte Fichten unbewachsen, in ihrer Einsamkeit aber verlockend und irgendwie romantisch. Ein abgelegener Ort, an dem man alle Sorgen und Probleme vergessen konnte und der Schöpfung so nahe wie nirgendwo sonst war. Jeder Schritt, jedes noch so leise Murmeln, zog ein sanftes Echo nach, und es war manchmal so still, dass man das Fallen des Schnees zu hören glaubte.
Im Schatten der Felswand legten sie eine kurze Rast ein, vor allem wegen Jacobsen, der von dem anstrengenden Marsch sichtlich erschöpft war und dankbar nickte, als Carol die Pause vorschlug. Niemand protestierte dagegen, nicht mal die Clarke-Brüder, und auch Ruth war wohl schon zu
Weitere Kostenlose Bücher