Verschollen am Mount McKinley - Alaska Wilderness ; 1
Wetters? Aber kein Wort über meine Schmerzen.«
Julie trat ans Fenster und zog ihr Funkgerät aus dem Futteral unter dem Anorak. »Hallo, Zentrale! Bitte melden! Hier Ranger Julie Wilson.« Am anderen Ende meldete sich ein Ranger, den sie noch nicht kannte. »Wir sind in der Hütte im Muldrow Valley. Keine besonderen Vorkommnisse.« Den Zwischenfall mit den Clarke-Brüdern verschwieg sie. Es war ja nichts passiert, und warum sollte sie die Pferde scheu machen. »Wie sieht das Wetter aus?«
»Nicht besonders«, kam die Antwort. »Heute Nacht starke Schneefälle, und der Wind hat gedreht und kommt jetzt aus westlicher Richtung. Könnte sein, dass ihr bis morgen Mittag in der Hütte bleiben müsst, aber dann wird es langsam wieder aufklaren. Kein Grund, die Wanderung abzubrechen.«
»Na, immerhin. Danke und over.«
Als sie sich umdrehte, beobachtete sie, wie Josh der leise stöhnenden Carol einen Keks reichte und ihr den Schweiß von der Stirn tupfte, als hätte er schon mal als Krankenpfleger gearbeitet. Dann stand er auf und trat neben sie. »Schlechte Nachrichten?«, fragte er.
»Wir bekommen schlechtes Wetter«, sagte sie. »Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Hier in der Hütte sind wir sicher, und lange soll der Schneesturm nicht anhalten. Spätestens morgen Mittag können wir weiter.« Sie steckte das Funkgerät weg und zögerte sichtlich. »Hör mal, Josh! Ich hab heute Morgen ein bisschen die Rangerin raushängen lassen und mich etwas daneben benommen. Tut mir leid.« Sie blickte aus dem Fenster, mied den Blick in seine verträumten Augen. »Ich mag dich, Josh! Ich mag dich wirklich!«
»Meinst du das ernst?«, fragte er hoffnungsvoll.
»Auch wenn du manchmal ein bisschen arg auf den Putz haust, aber keiner ist perfekt, und ich schon gar nicht. Wenn ich wollte, wie ich könnte, würde ich dich jetzt sogar küssen. Aber die Ranger haben strenge Vorschriften, und dazu gehört auch, dass wir unsere privaten Angelegenheiten nicht in den Dienst mitbringen dürfen. Im Büro sollte man sich ja auch nicht küssen.«
»Es sei denn, es ist Feierabend.«
»Na ja …«
»Und?«, fragte Josh siegessicher. »Haben wir jetzt nicht Feierabend?« Er blickte auf Carol, die erschöpft auf ihre Matratze gesunken war und leise schnarchte. »Und selbst wenn, deine Chefin schläft tief und fest …«
»Na, dann …« Sie küsste ihn hastig auf die Wange.
»War das alles?«, fragte er enttäuscht.
»Eins nach dem anderen«, hielt sie ihn lachend hin.
9
Julie warf zwei Holzscheite ins Feuer und hielt beide Hände über die heiße Ofenplatte. Nach einer anstrengenden Wanderung spürte man besonders, wie wohltuend ein wärmendes Feuer sein konnte. Sie hatte ihre Winterkleidung gegen Trainingshose und Sweatshirt vertauscht und lief in dicken Socken herum. Schneeschuhwandern war anstrengender, als die meisten Leute dachten.
Sie schenkte sich heißen Tee nach und rührte etwas Zucker hinein. Mit dem Becher in einer Hand ging sie zu den Nachtlagern und blickte nachdenklich auf die leise schnarchende Carol hinab. Sie schlief sehr unruhig, als würde sie schlecht träumen, und ihr Gesicht war gerötet, aber das konnte auch von der Hitze kommen, die inzwischen den ganzen Raum ausfüllte. Julie ging neben ihr auf die Knie und legte eine Hand auf ihre Stirn. Auch wenn Carol kein Fieber hatte, sah es doch so aus, als würde sie an mehr als einer leichten Magenverstimmung leiden. Vielleicht Gastritis oder ein Magengeschwür?
Julie hoffte, dass es nicht so war. Von ihrem Vater wusste sie, wie gefährlich eine solche Krankheit sein konnte, besonders wenn kein Arzt in Reichweite war. Wenn sich die Schmerzen der Rangerin verschlimmerten, waren sie vielleicht sogar gezwungen, die Wanderung abzubrechen und umzukehren. Dann würde sie auch nicht zögern, einen Hubschrauber anzufordern. Die Teilnehmer würden sicher Verständnis für diese Maßnahme haben. Sie hatten den Gipfel des Mount McKinley gesehen, das war schon mehr, als die meisten Besucher des Nationalparks von sich sagen konnten, und würden auch einen Teil ihres Geldes zurückbekommen, wenn sie umkehren mussten.
Sie trank einen Schluck und vertrieb die düsteren Gedanken. Bis jetzt war doch alles gut gegangen. Sie hatten die verzweifelte Kati rechtzeitig zurückgeschickt, und auch der Sturz der Clarke-Brüder war glimpflich verlaufen. Der Unfall hätte auch anders ausgehen können. Sie wagte sich gar nicht vorzustellen, was passiert wäre, wenn sich Gary und Chris ernsthaft
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