Verschollen im Taunus
holen das Geld, das dir noch zusteht.“
„Logo“, erwiderte Herr Schweitzer, gleichwohl ihm nicht danach war. Sein Plan für heute lief nämlich auf Nichtstun hinaus. Darauf verstand er sich ausgezeichnet. „Geld holen und danach ausruhen.“
„Ganz meiner Meinung.“
Trotz der noch frischen Erinnerung an die Wunderwaffe tat Herr Schweitzer einen weiteren Zug. Er inhalierte ganz tief. Bis er das Gefühl hatte, das Dope erreiche seine Zehenspitzen.
In der Ruine vor und im Hotel King selbst war man alles andere als entspannt. Drei Russen hatten die Nacht mehr oder weniger auf der Toilette zugebracht. Der Tschetschene hatte aus anderen Gründen ebenfalls kein Auge zugetan. Allesamt waren sie vollkommen übernächtigt. Maxim aber war klar im Vorteil, denn ihn hatte kein heimtückischer Apfelwein körperlich niedergestreckt.
Innerhalb weniger Minuten waren zwei Anrufe auf Handys aus Tschetschenien eingetroffen. Alexander Michailovitsch wurde mitgeteilt, daß sein Onkel Oleg, der die Immobiliengeschäfte in Grosny für ihn leitete, entführt worden sei. Das Lösegeld betrage zwei Millionen Dollar. Das war so Sitte, das mit der amerikanischen Währung. Der Rubel an sich war doch eher recht instabil.
Einen Anruf ähnlichen Inhalts hatte nur zehn Minuten später Maxim erhalten. Von Albert, seinem Boß. Und, was das Schlimmste war, er, Maxim, müsse Michailovitsch auf jeden Fall verschonen, weil es ja ansonsten kein Geld von ihm gäbe, man habe dessen Onkel entführt. Und er solle sich mit der Liquidation des Doubles doch nun endlich mal beeilen, er werde in Grosny dringend gebraucht. Noch ehe er etwas erwidern konnte, war die Verbindung auch schon wieder unterbrochen. Da saß er nun, der übernächtigte Maxim, und wußte weder ein noch aus. Doch justament, als eine tiefe Verzweiflung seinen ganzen Körper erfaßt hatte, geschah ein Wunder. Durch das Loch, das er in den Rolladen geschnitzt hatte, erspähte er Herrn Schweitzer, Michailovitschs optischen Zwillingsbruder, in Begleitung eines salopp gekleideten Mannes durchschnittlichen Alters mit einer Brötchentüte in der Hand. Wegen seines vorangegangenen Depressionsanfalls hatte Maxim aber das Gewehr aus der Hand gelegt, um sich ein paar Tränen, generiert aus Wut, wegzuwischen. Ja, auch Terroristen haben Gefühle. So kam es, daß Herr Schweitzer beim Betreten des Hotels verschont wurde.
Verflogen war die ganze Müdigkeit. Es war ganz eindeutig sein Glückstag. Auch war es nur eine Frage der Zeit, bis die beiden Typen das Hotel wieder verlassen würden. Maxim rieb sich die Hände. Ein paar Minuten noch, und sein Auftrag wäre erledigt. Und dann ab nach Grosny, die Lorbeeren einheimsen. Blut und Ehre fürs Vaterland! Ach, ist das Leben schön!
Ganz und gar nicht schön war das Leben für Alexander Michailovitsch. Nach dem Anruf aus Sankt Petersburg hatte er wie ein Rohrspatz geflucht und Stein und Bein geschworen, daß er erst wieder ruhen werde, wenn diese ganze scheiß Brut von Tschetschenien-Terroristen ausgerottet sei. Zwischen all der Rumflucherei mußte er nach wie vor seiner etwas aus der Bahn geratenen Verdauung wegen die Toilette aufsuchen. Und wenn ich schon mal dabei bin, so sagte er sich, diese scheiß Apfelweinkeltereien werde ich auch noch irgendwann dem Erdboden gleichmachen. Das Zeug kann doch keine Sau saufen.
Die Koffer waren gepackt. Das Taxi zum Flughafen war für Viertel nach zehn bestellt. Von Frankfurt hatte Alexander Michailovitsch die Schnauze gestrichen voll. Erst die Eintracht, dann der Apfelwein, nein danke, das Paradies sah anders aus.
Aus dem Bad ertönte das Stöhnen von Sergej. Ihn hatte der Apfelwein am schlimmsten erwischt. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Als der Portier die Ankunft des Taxis meldete, mußte er gestützt werden. Er sah aus wie Tod-sein-Dörrfleisch-Reisender (Frankforderisch für Hungerhaken).
In der kleinen Anlage am alten Friedhof, wo sich gestern Herr Schweitzer und der Oberkommissar die erste Dröhnung verpaßt hatten, spazierte derweil der wohl berühmteste Mensch Sachsenfhausens im Einklang mit sich und der Natur. Es ist viel über ihn geschrieben worden und auch das Fernsehen hat bisweilen schon über ihn berichtet. Es war ein Mensch, der von schicklichem Benehmen so weit entfernt war wie die machtgeile hessische Ex-Spitzenpolitikerin Ypsilanti von ihren Wahlversprechen – der Nackte Jörg. Etliche Geschichten und Legenden rankten sich um ihn. Ein jeder Sachsenhäuser hatte ein paar
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