Verschollen
Der halbe Kopf war weggeschossen. Zuerst dachte man, dass es Selbstmord war, aber es lag keine Waffe rum. Und anscheinend ist es auch nicht in der Wohnung geschehen, sondern irgendwo anders. Er wurde erst später dorthin gebracht. Warum ist allerdings ein Rätsel.«
»Hat denn keiner etwas gesehen?«, fragte Nielsen mit heiserer Stimme. »Die anderen im Haus?«
Henning lachte leise. »Was glaubst du? Dort wird weder etwas gesehen noch gehört. Wenn man da wohnt, nimmt man sich in Acht und will mit dem Ärger der anderen nichts zu tun haben.«
Er holte Luft.
»Und es ist ja auch nicht wirklich überraschend. Er ist wohl der falschen Person einmal zu viel auf die Füße getreten. Ich habe es fast geahnt, dass so etwas eines Tages passieren würde. Oder dass er mit zu viel Stoff erwischt wird.«
Nielsen schwieg und dachte an Bernt Larsson. Der Kerl ließ ihn nicht in Ruhe. Er hatte sich versichert, dass das Ganze weitergehen würde. Er hatte gewusst, dass Nielsen, nachdem die Leiche gefunden worden war, gezwungen gewesen wäre weiterzusuchen, die Puzzlestücke neu zusammenzulegen und das Rätsel aufzuklären. Sie wären weiterhin in Verbindung gewesen, aneinander gekettet. Noch nicht einmal jetzt fühlte er sich von seinem Griff befreit.
»Hast du nicht mit ihm gesprochen, Johnny? Hast du eine Ahnung, ob er gerade in eine heikle Sache verwickelt war?«
John Nielsen versuchte sein wachsendes Unbehagen abzuschütteln. Ihm war es zuwider, Lasse Henning anzulügen. »Er wollte sich wieder bei mir melden«, sagte er. »Aber das hat er nicht getan.«
»Tja, dieses Mal hatte er eine gute Ausrede«, sagte Lasse Henning lakonisch. Er seufzte.
»Obwohl es in gewisser Hinsicht traurig ist, dass es so weit kommen musste. Harri hatte auch seine guten Seiten, nicht wahr? Er war nur so verdammt hitzköpfig. Und schwach. Und das ist keine gelungene Kombination.«
Er schwieg eine Weile.
»Bist du noch an der Geschichte aus Bräcke dran?«
»Nein«, antwortete Nielsen. »Das ist jetzt vorbei.«
»Na, es war auch eine ganze Zeit lang still um die Sache«, sagte Lasse Henning nachdenklich.
Er verstummte wieder.
»Dann werden wir uns wohl wie verabredet sehen«, fuhr er fort. »Im Frühling. War das nicht so?«
»Natürlich«, erwiderte Nielsen. »Im Frühling, wenn er denn kommt.«
Eine Weile noch stand er mit dem Hörer am Ohr. Für einen Augenblick hatte er das unheimliche Gefühl, nicht der Einzige zu sein, der lauschte. Dass dort draußen noch ein Zuhörer war. Dann schüttelte er den Kopf und legte auf. Langsam ging er hinüber zum Sofa, ließ sich darin niedersinken, streckte seine Beine aus und schloss die Augen.
Wieder stand er draußen im Kahlschlag.
Um ihn herum die felsige, kahle Natur. Tief hängender Himmel. Noch immer dieselbe Eiseskälte. Er wollte weg von dort, aber seine Beine waren schwer wie Blei. Mit jedem Schritt wuchs seine Erschöpfung ins Unermessliche. Plötzlich wusste er, dass er dableiben musste, dass er niemals fortkommen würde.
Er zwang sich dazu, seine Augen aufzureißen, und atmete tief durch. Es musste ein Ende haben, beschloss er. Einmal musste es ein Ende haben. Er wollte sich jetzt ausruhen. Ausatmen können. Er hatte ein Recht dazu. Er musste das Ganze abschließen, einen Schlusspunkt setzen. Endlich.
Nahezu eine Stunde musste er auf Sune Bergman warten, der an einem Führungkräftemeeting in Östersund teilnahm. Er saß auf einem Stuhl direkt neben dem Eingang und blätterte in ein paar Zeitschriften. Ab und zu stand er auf, schlenderte umher und sah aus dem Fenster.
Es war Mitte Januar. Meterhoch lag Schnee, und die Temperatur war auf minus fünfzehn Grad gesunken. Die vorbeifahrenden Autos spritzten Schneefontänen hinter sich in die Luft. Er blinzelte in das Weiß. Die Kälte ließ die Welt sich zusammenkrümmen, fand er. Man bewegte sich langsamer, legte keine weiten Strecken zurück. Atmete sogar vorsichtig, nippte förmlich an der Luft. Am besten hielt man sich nicht im Freien, sondern im Haus auf. Vor einem Kamin, den man mit Holz fütterte. Dann konnte man den Flammenzungen zusehen, wie sie um das Holz tanzten, während die Kälte da draußen herumkroch, an den Wänden kratzte und an den Fensterscheiben leckte.
Bergman war ganz offensichtlich auf seinen Besuch vorbereitet worden, denn er zeigte kein Anzeichen von Erstaunen, als er durch die Tür kam und ihn erblickte. Er grüßte und lotste ihn in ein kleines Dienstzimmer.
»Ist es etwas Bestimmtes, was Sie wieder in
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