Verschwiegen: Thriller (German Edition)
du ein bestimmtes Gesicht. Du schaust grimmig.«
»Ich schau nicht grimmig.«
»Doch.«
»Stimmt das, Mama?«
»Ich habe das noch nicht bemerkt. Manchmal übertreibt dein Vater ein bisschen mit der strategischen Planung.«
»Doch, Jake, das stimmt – du guckst dann so …« Ich schaute grimmig.
»Du siehst nicht grimmig aus, sondern verstopft.«
»Ich mein’s ernst. So siehst du aus, wenn du nicht zuhörst. Setz vor der Jury einfach ein anderes Gesicht auf.«
»Ich hab kein anderes Gesicht. Was soll ich da machen?«
»Schau einfach so nett wie sonst auch«, meinte Laurie freundlich. Sie lächelte ihn schwach an. Sie hatte ihr Sweatshirt verkehrt herum angezogen, sie schien nicht zu bemerken, dass das Schildchen sie am Hals kratzte.
»Wo wir schon dabei sind, wisst ihr eigentlich, dass ich auf Twitter ein Thema bin?«
»Was soll das heißen?«, fragte Laurie.
»Leute reden in Twitter über mich. Und wisst ihr, was sie sagen? Jacob Barber ist wunderbar, ich will ein Kind von ihm, Jacob Barber ist unschuldig .«
»Ach? Und was noch?«, hakte ich nach.
»Manche sagen auch Negatives, aber das meiste ist positiv. Ungefähr siebzig Prozent.«
»So viel?«
»So ungefähr.«
»Du hast das so genau mitverfolgt?«
»Es hat ja erst heute angefangen. Aber klar habe ich das alles gelesen. Das musst du dir mal ansehen, Dad. Geh einfach auf Twitter und gib #jacobbarber ohne Leerstellen ein.« Er schrieb es auf seine Papierserviette. »Ich bin fast so berühmt wie Kobe Bryant oder Justin Timberlake.«
»Das ist sehr schön für dich, Jacob.« Ich warf einen skeptischen Blick Richtung Laurie.
Es war nicht das erste Mal, das Jacobs Bekanntheitsgrad im Internet Gesprächsthema war. Irgendjemand, vermutlich ein Freund aus der Schule, hatte unter JacobBarber.com eine Webseite eröffnet, die ihm moralische Unterstützung bieten sollte. Leute konnten Jacobs Unschuld bekräftigen oder kleine Nachrichten hinterlassen, mit denen sie ihm viel Glück wünschten oder seinen wunderbaren Charakter betonten. Negative Nachrichten wurden herausgefiltert. Auch auf Facebook gab es eine solche Gruppe. Online galt Jacob als etwas eigen, sehr attraktiv, und man schloss eine Veranlagung zu Mord nicht aus, wobei das eine mit dem anderen verbunden war. Manchmal sandten ihm Unbekannte auch Nachrichten auf sein Telefon. Die meisten waren gemein, aber nicht alle. Manchmal schrieben ihm Mädchen, wie hinreißend er aussehe, oder sie unternahmen Annäherungsversuche. Seiner Behauptung nach standen einer unfreundlichen Nachricht zwei positive gegenüber, und das schien ihm zu genügen. Er wusste schließlich, dass er unschuldig war. Und er wollte seine Handynummer nicht ändern.
»Vielleicht solltest du Facebook mal ein bisschen fernbleiben, Jacob. Wenigstens bis alles vorbei ist«, meinte Laurie.
»Ich lese doch nur, ich schreib dort nie was. Ich bin ein Spanner.«
»Ein Spanner? Ich will dieses Wort nicht hören. Tu mir einfach den Gefallen, und lass die Finger vom Internet, okay? Dir könnte was zustoßen.«
»Ich glaube, deine Mutter will sagen, dass wir in den nächsten zwei Wochen den Ball am besten flach halten. Wir halten uns einfach ein bisschen die Ohren zu.«
»Ach, diese Viertelstunde täglicher Berühmtheit wird mir fehlen«, meinte Jacob. Er grinste, heiter und selbstvergessen, wie Teenager nun mal sind.
Laurie war entsetzt.
»Na, das ist wirklich schade.«
»Ich hoffe, dass du irgendwann für etwas anderes deine Viertelstunde Berühmtheit bekommst, Jacob.«
Wir schwiegen, es war nur das Klappern des Bestecks auf unseren Tellern zu hören.
»Ich wünschte, dieser Typ würde endlich seinen Motor abstellen«, meinte Laurie.
»Welcher Typ?«
»Dieser Typ da draußen.« Sie deutete mit der Gabel in Richtung Fenster. »Hörst du das nicht? Da draußen sitzt jemand in seinem Auto und hat den Motor laufen. Ich kriege Kopfschmerzen davon. Das ist wie dieses Geräusch im Ohr, das einfach nicht weggeht. Wie heißt das noch mal?«
»Tinnitus«, antwortete ich.
Sie verzog das Gesicht.
»Das weiß ich aus meinen Kreuzworträtseln«, erklärte ich.
Ich stand auf und ging zum Fenster, mehr aus Neugier denn aus Besorgnis. Draußen stand ein großer Sedan. Das Modell konnte ich nicht erkennen, aber es war ein billiger Ami-Schlitten, vielleicht ein Lincoln. Er stand auf der anderen Straßenseite, etwa zwei Häuser weiter unten. Er war zwischen zwei Straßenlaternen geparkt, und so konnte ich den Fahrer nicht erkennen, nicht einmal
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