Verschwiegen: Thriller (German Edition)
Bett.
Sie lag wie eine Katze zusammengerollt da und hatte mir den Rücken zugewandt. »Mit wem hast du gesprochen?«, murmelte sie in ihr Kissen.
»Mit Paul.«
»Und was hat er gesagt?«
»Dass es wahrscheinlich nur ein geparktes Auto ist. Es ist alles in Ordnung.«
Sie stöhnte.
»Er meinte, du würdest ihm ohnehin nicht glauben.«
»Er hatte recht.«
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Der Prozess wird eröffnet
Was hatte Neal Logiudice sich bei seiner Eröffnungsrede vor der Jury nur gedacht? Die Präsenz von zwei Kameras war ihm mehr als klar, das konnte man allein an der Sorgfalt sehen, mit der er die beiden oberen Knöpfe seines Jacketts schloss. Ganz offensichtlich war es ein zweiter neuer Anzug, nicht derselbe wie am Tag zuvor, obwohl er den gleichen Schnitt hatte. (Der Einkaufsbummel war ein Fehler gewesen, er neigte dazu, in neuen Kleidern zu paradieren.) Er muss sich gefühlt haben wie ein Held. Er brannte vor Ehrgeiz, aber seine Ziele waren wenigstens die gleichen wie die des Publikums, nach dem Motto: Was gut für Neal war, war gut für jedermann, außer für Jacob natürlich. Daran war nichts Verwerfliches. Auch dass ich beim Verteidiger saß, am falschen Platz sozusagen, hatte in seinen Augen seine Richtigkeit. Damit meine ich nicht, dass Logiudice an jenem Tag in ödipalen Rachegefühlen schwelgte. Wenigstens gab es dafür keine Anzeichen. Während er sein neues Jackett zurechtrückte und einen Augenblick lang Blickkontakt mit der Jury aufnahm – mit den zwei Jurys, jener im Gericht und jener hinter den Kameras, draußen vor dem Saal –, erkannte ich die Eitelkeit des jungen Mannes. Weder hasste ich ihn, noch nahm ich ihm seine Selbstzufriedenheit übel. Er hatte seinen Abschluss gemacht, war erwachsen geworden, und jetzt war er endlich wichtig. Jeder von uns hat schon einmal dieses Gefühl gehabt. Ödipus hin oder her, es ist eine Freude, nach langen Jahren endlich auf dem väterlichen Thron zu sitzen, und es ist eine arglose Freude. Wer wollte Ödipus schuldig sprechen? Er war das Opfer. Der Arme hatte nie jemandem etwas zuleide tun wollen.
Logiudice nickte dem Richter zu (Zeigen Sie der Jury, dass Sie sie respektieren … ) , er sah Jacob im Vorübergehen finster in die Augen ( …und dass Sie den Angeklagten nicht fürchten. Wenn Sie ihm nicht in die Augen sehen und dabei »schuldig« sagen können, können Sie das auch nicht von der Jury erwarten). Genau vor den Geschworenen blieb er stehen und legte seine Fingerspitzen auf das Geländer (Verringern Sie die Entfernung zwischen sich und den Geschworenen. Sie sollen den Eindruck bekommen, dass Sie zu ihnen gehören ) .
»Cold Spring Park, an einem Frühlingsmorgen. Ein Teenager wird tot aufgefunden. Der vierzehnjährige Junge ist mit drei Messerstichen in die Brust ermordet und einen rutschigen Abhang voller Laub und Erde hinuntergeworfen worden. Er bleibt dort mit dem Gesicht nach unten liegen, ganz in der Nähe der Schule, zu der er wie jeden Morgen unterwegs war, und nicht weit von seinem Elternhaus.«
Sein Blick wanderte über die Jury.
»Die Entscheidung, so etwas zu tun, die Entscheidung, einen anderen Menschen umzubringen, einen Jungen zu ermorden, ist Sache eines Augenblicks.«
Er ließ den Satz auf die Jury einwirken.
»Der Bruchteil einer Sekunde genügt.« Er schnalzte mit den Fingern. »Eine Sekunde Jähzorn genügt, und aus der Absicht wird die Tat, aus dem Plan ein Mord. Wir sprechen von vorsätzlichem Mord. Es ist die bewusste Entscheidung zum Töten. Dabei spielt es keine Rolle, dass diese Entscheidung im Bruchteil einer Sekunde getroffen wurde und dem Mörder nur kurz durch den Kopf schoss. Vorsätzlicher Mord kann eine Sache von Sekundenbruchteilen sein.«
Er begann vor der Jury auf und ab zu gehen und dabei Blickkontakt zu den einzelnen Geschworenen aufzunehmen.
»Lassen Sie uns einen Augenblick über den Angeklagten sprechen. In diesem Fall geht es um einen Jungen, der alles hatte: eine gute Familie, gute Noten, ein schönes Zuhause in einem schönen Viertel. Alles hatte er, mehr als die meisten, viel, viel mehr. Aber der Angeklagte hatte noch etwas: ein mörderisches Temperament. Und wenn man ihn ärgerte, nicht zu sehr, sondern wie es an jeder Schule in diesem Land immer wieder vorkommt, wenn man ihn ein bisschen herumschubste und nervte … irgendwann hatte er genug, und er drehte durch.«
Sie müssen der Jury bei jeder Anklage eine Geschichte erzählen. Fakten allein reichen nicht, sie müssen in eine
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