Verschwiegen: Thriller (German Edition)
zurück.
Aber die Nacht war noch nicht vorbei.
Um zwei Uhr nachts lag ich erschöpft auf der Wohnzimmercouch. Wie ein Schiffbrüchiger, weder in der Lage, ins Schlafzimmer hoch zu gehen, noch, auf dem Sofa einzuschlafen.
Laurie kam barfuß die Treppe heruntergetapst. Sie trug eine Schlafanzughose und ihr türkisfarbenes Lieblings-T-Shirt, das mittlerweile so abgetragen war, dass es nur noch für das Bett taugte. Darunter hingen ihre Brüste herab, schlaff vom Alter. Ihr Haar war zerwühlt, ihre Augen noch halb geschlossen. Ihr Anblick rührte mich fast zu Tränen. An der dritten Treppenstufe sagte sie: »Komm hoch ins Bett, Andy. Heute Nacht können wir ohnehin nichts mehr ändern.«
»Gleich.«
»Nicht gleich, jetzt. Komm.«
»Komm her, Laurie. Ich muss dir was sagen.«
Sie schob sich über den Flur ins Wohnzimmer, hin zu mir, und schien während dieser zwölf Schritte hellwach zu werden. Ich war nicht der Typ, der oft um Hilfe bat. Und dass ich es jetzt tat, versetzte sie in Alarmstimmung. »Was ist los, Liebling?«
»Setz dich. Ich muss dir etwas sagen. Etwas, was bald ohnehin herauskommt.«
»Über Jacob?«
»Über mich.«
Ich erzählte ihr alles, alles, was ich über meine Vorfahren wusste. Von James Burkett, dem ersten Bloody Barber, der wie die Karikatur eines amerikanischen Pioniers Wildnis nach New York gebracht hatte. Und von Rusty Barber, meinem Großvater, dem Kriegshelden, der einem Mann bei einem Streit wegen eines Unfalls in Lowell, Massachusetts, den Bauch aufgeschlitzt hatte. Und von meinem Vater, Bloody Billy Barber, bei dessen undurchsichtiger Gewaltorgie es um ein junges Mädchen und ein Messer in einem verlassenen Gebäude ging. Nach fünfunddreißig Jahren Warterei brauchte ich für die ganze Geschichte nicht mehr als fünf oder zehn Minuten. Als sie heraus war, erschien es mir fast merkwürdig, dass sie mir lange so schwer auf der Seele gelegen hatte, und ich hatte flüchtig die Hoffnung, dass Laurie das auch so sehen würde.
»Von denen stamme ich ab.«
Sie nickte, mit leerem Gesichtsausdruck, wie benommen vor Enttäuschung über meine Familiengeschichte und meine mangelnde Aufrichtigkeit. »Warum hast du mir niemals davon erzählt, Andy?«
»Weil es keine Rolle spielte. Das war nicht ich. Ich bin nicht wie sie.«
»Aber du hast nicht darauf vertraut, dass ich das verstehen würde?«
»Nein, Laurie. Darum geht es nicht.«
»Du hast einfach nicht die richtige Gelegenheit gefunden?«
»Nein. Am Anfang wollte ich nicht, dass du mich vor diesem Hintergrund beurteilst. Und je mehr Zeit verging, desto weniger schien das Ganze eine Rolle zu spielen. Wir waren so … glücklich.«
»Bis jetzt, jetzt bleibt dir keine andere Wahl, jetzt musstest du es mir sagen.«
»Ich möchte, dass du es weißt, weil es jetzt vermutlich rauskommt. Das Ganze hat zwar nichts damit zu tun, aber derartiges Zeug kommt immer irgendwie raus. Es hat nichts mit Jacob zu tun und nichts mit mir.«
»Bist du dir da sicher?«
Für einen Augenblick öffnete sich der Boden unter mir. Dann: »Ja, da bin ich mir sicher.«
»Du bist dir derart sicher, dass du es mir verschwiegen hast.«
»Das stimmt nicht.«
»Gibt es sonst noch etwas, das du mir nicht gesagt hast?«
»Nein.«
»Sicher?«
»Ja.«
Sie überlegte. »Gut.«
»Was bedeutet ›gut‹? Hast du Fragen? Möchtest du darüber reden?«
Sie warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu: Ichfragte sie , ob sie reden wollte? Um zwei Uhr morgens? Und ausgerechnet an jenem Morgen?
»Es hat sich nichts geändert, Laurie. Das alles ändert gar nichts. Ich bin immer noch der, den du damals mit siebzehn kennengelernt hast.«
»Meinetwegen.« Sie schaute, ihre Hände knetend, auf ihren Schoß. »Du hättest es mir vorher sagen sollen. Ich hatte ein Recht darauf, es zu erfahren. Ich hatte ein Recht darauf, zu erfahren, wen ich da heiratete und mit wem ich ein Kind habe.«
»Du hast es gewusst. Du hast mich geheiratet, alles andere sind Geschichten, die nichts mit uns zu tun haben.«
»Du hättest es mir sagen sollen, das ist alles. Ich hatte ein Recht darauf.«
»Wenn ich das getan hätte, hättest du mich nicht geheiratet. Du wärst nicht einmal meine Freundin geworden.«
»Das kannst du nicht wissen. Du hast mir nie die Gelegenheit gegeben, das für mich zu entscheiden.«
»Nun komm schon. Nehmen wir mal an, ich hätte dich gefragt, und du hättest das alles gewusst?«
»Ich weiß nicht, was ich geantwortet hätte.«
»Ich schon.«
»Warum?«
»Weil
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