Verschwiegen: Thriller (German Edition)
wir jetzt.
Klein blickte die Straße entlang auf die schwatzenden Journalisten, die herumlungerten wie ein Wolfsrudel, das auf Beute wartet. »Okay«, sagte er dann. »Ich weiß, Sie kennen die ganze Prozedur, Andy, aber noch nicht von dieser Seite. Und für Sie, Laurie, ist das alles neu. Also erzähle ich Ihnen beiden jetzt, was Sie erwartet und wie das alles laufen wird.«
Er streckte eine Hand nach Lauries Ärmel aus. Sie hatte sich vom doppelten Schock des Vortags, erst Jacobs Festnahme und dann der Fluch des Barber-Clans, noch nicht erholt. Während wir an jenem Morgen frühstückten, uns anzogen und fürs Gericht fertig machten, hatten wir nur wenige Worte miteinander gewechselt. Zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass irgendwann unsere Scheidung anstehen könnte. Sie beäugte mich, sie überlegte, das konnte ich deutlich sehen. Was bedeutete es für sie, herauszufinden, dass sie unter falschen Vorzeichen in die Ehe gelockt worden war? Fühlte sie sich getäuscht? Oder musste sie sich eingestehen, dass ihr Unbehagen im Grunde meine Aussage bestätigte: Mädchen wie sie heirateten keine Jungen wie mich. Jedenfalls schien Jonathans kurze Berührung ihr ein Trost zu sein. Sie setzte ein kleines Lächeln für ihn auf, das aber sofort wieder einer niedergeschlagenen Miene Platz machte.
»Von diesem Augenblick an, von dem Moment an, in dem wir das Gerichtsgebäude betreten, bis heute Abend, wenn Sie wieder zu Hause sind und die Tür hinter sich schließen, will ich, dass Sie absolute Ruhe bewahren. Keine Reaktionen. Setzen Sie ein Pokerface auf. Haben Sie das verstanden?«
Laurie gab keine Antwort. Sie schien verwirrt.
»Keine Sorge«, versicherte ich ihm.
»Gut. Denn man wird jede Miene, Gefühlsregung oder Reaktion, sei sie auch noch so unbedeutend, gegen Sie auslegen. Wenn Sie lachen, wird man behaupten, Sie nähmen das Ganze nicht ernst. Wenn Sie eine finstere Miene aufsetzen, wird man sagen, Sie seien hochmütig, zeigten keine Spur von Reue und hätten etwas gegen die ganze Prozedur. Wenn Sie weinen, wird man das als Heuchelei auslegen.«
Er sah Laurie an.
»Gut«, erwiderte sie verunsichert, besonders was den letzten Punkt betraf.
»Beantworten Sie keine Fragen. Sie müssen das nicht. Auf dem Fernsehschirm spielt nur das eine Rolle, was man sieht. Es ist unmöglich, zu wissen, ob Sie eine Frage verstanden haben, die jemand Ihnen zugerufen hat. Und am allerwichtigsten – und ich werde das auch Jacob einschärfen, wenn ich zu ihm in die Zelle gehe: Anzeichen von Verärgerung, besonders wenn sie von Jacob kommen, werden den Verdacht der Leute bestätigen. Vergessen Sie nicht: In den Augen der Leute, in jedermanns Augen, ist Jacob schuldig. Sie alle sind schuldig. Die Leute suchen nach einer Bestätigung für das, was sie ohnehin schon wissen. Und da kommt ihnen jede Kleinigkeit gelegen.«
»Meinen Sie nicht, dass es etwas spät ist, uns über unser Image Gedanken zu machen?«, warf Laurie ein.
Auf Seite eins des Globe prangte an jenem Morgen die fette Schlagzeile: »Sohn von Staatsanwalt im Newtonmord angeklagt.« Der Herald war ebenfalls sensationslüstern, aber wenigstens direkt. Dort war ein Foto von einem leeren Waldabhang – offenbar sollte das der Tatort sein – und eine Nahaufnahme von Jacob, die sie aus dem Netz geklaut hatten, darunter das Wort »Monster«. Ganz unten der Aufmacher: »Bezirksstaatsanwalt im Vorruhestand: Hat er seinen Teenagersohn im Messermord von Newton gedeckt?«
Laurie hatte recht: Nach all dem mit einem Pokerface in den Gerichtssaal zu marschieren, schien unpassend.
Doch Klein zuckte nur mit den Schultern. Das waren eben die Spielregeln. Als hätte sie Gott eigenhändig in Stein gemeißelt. In seiner ruhigen, nüchternen Art sagte er: »Wir müssen das Beste aus der Lage machen.«
Also verhielten wir uns so, wie man uns gesagt hatte. Wir schoben uns durch die Journalistenmeute, die vor dem Gericht auf uns lauerte. Wir zeigten keinerlei Gefühlsregung, beantworteten keine Fragen und taten so, als hörten wir nichts von dem, was man uns in die Ohren schrie. Um uns herum knisterten Mikrofone: »Wie fühlen Sie sich?«, »Was haben Sie denen zu sagen, die Ihnen vertraut haben?«, »Wollen Sie ein paar Worte an die Familie des Opfers richten?«, »Ist Jacob der Täter?«, »Wir wollen doch nur hören, was Sie zu sagen haben«, »Wird er aussagen?« Einer wollte mich provozieren und fragte: »Wie fühlt es sich an, wenn man plötzlich auf der anderen Seite steht, Mister
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