Verschwiegen: Thriller (German Edition)
Vergangenheit. Zerrüttend waren jene 179 endlos langen Tage, die dann folgten und in denen wir allein waren. Die Nachmittage in einem stillen Haus ohne eine Beschäftigung, die endlos langen Minuten, das Gefühl, dass die Tage, die ebenfalls endlos waren, aber doch in ihrer Gesamtdauer zu kurz, dahinschlichen. Am Ende sahen wir dem Verfahren erleichtert entgegen, weil uns die Warterei unerträglich geworden war. Es war wie eine lange Totenwache.
Eines Abends im Mai, achtundzwanzig Tage nach der Festnahme und noch 151 Tage vor uns, saßen wir alle drei am Tisch und aßen zu Abend.
Jacob hatte schlechte Laune. Er sah nur selten von seinem Teller auf und schmatzte laut wie ein Kleinkind. Diese Angewohnheit hatte er immer schon gehabt. »Ich begreife nicht, warum wir jeden Abend dieses ganze Theater veranstalten«, meinte er geradeheraus.
»Was für ein Theater?«
»Uns wie bei einer Party oder so was hinzusetzen und zu essen. Wir sind doch nur zu dritt.«
Nicht zum ersten Mal erklärte Laurie: »Eigentlich ist es sehr einfach. Man macht das als Familie einfach. Man setzt sich zusammen und isst.«
»Aber es sind doch nur wir.«
»Und?«
»Jeden Abend bringst du diese ganze Zeit damit zu, für uns drei zu kochen. Dann essen wir gerade mal eine Viertelstunde. Und dann verbringt man noch mehr Zeit mit dem Abwasch. Wenn wir nicht so ein Aufhebens machen würden, ginge alles viel schneller.«
»So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Außerdem sehe ich dich recht selten abwaschen, Jacob.«
»Das meine ich nicht, Mom. Es ist einfach überflüssig. Wir könnten uns eine Pizza holen oder was vom Chinesen, und dann wäre alles in fünfzehn Minuten vorbei.«
»Aber ich will gar nicht, dass alles in fünfzehn Minuten vorbei ist. Ich möchte gerne zusammen mit meiner Familie am Tisch sitzen.«
»Du willst also jeden Abend eine Stunde mit dem Ganzen zubringen?«
»Auch zwei, so viel ich kriegen kann.« Sie grinste und nippte an ihrem Wasserglas.
»Früher haben wir nie so viel Aufhebens darum gemacht.«
»Nun, jetzt schon.«
»Ich weiß, warum du das machst, Mom.«
»Ach ja? Und warum?«
»Damit ich nicht depressiv werde. Du glaubst, wenn wir alle hübsch um den Tisch versammelt sind, dann wird sich meine Anklage in Luft auflösen.«
»Das glaube ich ganz bestimmt nicht.«
»Gut, denn das ist auch nicht so.«
»Ich will mal für kurze Zeit an etwas anderes denken, Jacob. Nur für eine Stunde pro Tag. Ist das so unverständlich?«
»Ja! Weil es nicht funktioniert. Es macht alles nur schlimmer. Je mehr du dich anstrengst, damit alles ganz normal wirkt, desto mehr wird mir klar, wie unnormal es ist. Guck dir das doch nur mal an.« Er gestikulierte mit seinen Armen und meinte das traditionelle Abendessen, das Laurie vorbereitet hatte: Auflauf mit Huhn, frische grüne Bohnen, Limonade und in der Mitte des Tisches eine Kerze. »Das sieht alles doch nur so aus, als wäre es normal.«
»Wie Riesengarnelen.«
»Sei still, Andy. Was soll ich tun, ich war noch niemals in einer ähnlichen Situation. Was soll ich als Mutter tun? Sag’s mir und ich mach’s.«
»Keine Ahnung. Wenn du nicht willst, dass ich depressiv werde, dann gib mir Drogen, keinen … keinen Hühnerauflauf.«
»Tut mir leid, ich glaube, mir sind die Drogen gerade ausgegangen.«
»Derek könnte dir da wahrscheinlich weiterhelfen, Jacob«, warf ich zwischen zwei Bissen ein.
»Vielen Dank, sehr nett, Andy. Ist dir jemals der Gedanke gekommen, dass es um mich geht, wenn ich dich nicht vor dem Fernseher essen lasse oder irgendwo aus einer Plastikdose in der Küche oder dir erlaube, das Abendessen ganz ausfallen zu lassen, damit du in deinem Zimmer weiter Videospiele machen kannst? Vielleicht geht es dabei ausschließlich um mich, und nicht um dich. Das alles ist auch für mich nicht einfach.«
»Weil du nicht glaubst, dass man mich laufen lässt.«
»Nein.«
Das Telefon klingelte.
»Genau. Siehst du. Sonst würdest du dich nicht mit dem Abendessen abquälen.«
»Nein, Jacob. Ich will meine Familie um mich haben, das ist alles. Wenn es Probleme gibt, dann macht man das als Familie. Man rückt zusammen und hilft einander. Es geht nicht immer nur um dich, weißt du? Du kannst auch etwas für mich tun.«
Es entstand ein kurzes Schweigen. Jacob schien sich seines unverfrorenen Narzissmus nicht zu schämen. Es fiel ihm bloß keine passende freche Antwort ein.
Wieder klingelte das Telefon.
Laurie zog die Augenbrauen hoch, streckte das Kinn vor und sah
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