Verschwiegene Schuld
Telefon lief auf den Namen des Besitzers. Für die französische Polizei war ich, wie ich dachte, nur ein Tourist, der schon oft im Land gewesen war, und stellte keine Gefahr dar. Warum sollten sie also eine Wanze in mein Telefon bugsieren, meine Gespräche aufzeichnen und analysieren, die ich zudem alle auf englisch führte? Und vor allem, warum sollten sie den Journalisten anrufen und ihm alles brühwarm erzählen? Das war überhaupt das Absurdeste an der ganzen Geschichte. Aber wie konnte er sonst in Erfahrung gebracht haben, was ich Doucet mitgeteilt hatte? Hatte er geraten? Hatte ihn jemand angerufen? Hatte Doucet geplaudert? Aber Doucet ist ein diskreter, loyaler und couragierter Verleger, von dem ich mir so etwas überhaupt nicht vorstellen konnte. Die ganze Sache schien so verrückt, daß ich sie mir einfach aus dem Kopf schlagen mußte. Also unternahm ich fünf Jahre lang nichts.
Als ich nun, im Jahr 1994, Le Spion die Geschichte von dem britischen Journalisten erzählte, erklärte er mir, wie so etwas ablief. Er sagte, die Amerikaner waren »hinter Ihnen her, sobald das Buch veröffentlicht wurde«. Sobald ich in Paris angekommen sei, wäre die französische Polizei, die von den Amerikanern vorgewarnt worden sei, in mein Hotelzimmer eingedrungen, hätte kopiert oder gelesen, was sie interessierte, und das Zimmer verwanzt. Von da an sei es ein leichtes für sie gewesen, mir in Frankreich auf der Spur zu bleiben.
Dann erklärte er mir, wie das mit dem Telefon gelaufen war. Die Amerikaner hören routinemäßig alle internationalen Gespräche ab, die sie interessieren. Sie zeichnen diese Gespräche auf, dann werden die Aufnahmen von Computern abgehört, die in der Lage sind, bestimmte Schlüsselwörter zu erkennen. Diese Computer sind inzwischen so raffiniert, sagte er, daß sie Satzbau und Wortarten unterscheiden können. So können sie zum Beispiel zwischen dem Substantiv »Feld« und dem Verb »fällt« oder zwischen »fiel« und »viel« differenzieren, obwohl die Wörter sich gleich anhören. Wenn in einem Telefongespräch ein Schlüsselwort fällt oder eine bestimmte Gruppe von Wörtern gebraucht wird, die interessant erscheinen, wird die Bandaufnahme an ein menschliches Wesen zur Analyse übergeben. Die Kanadier tun das gleiche. Die Franzosen ebenfalls. Auch Briten, Norweger und andere tun es. Da es in Amerika und Kanada (und wahrscheinlich auch in den anderen Ländern) gesetzlich verboten ist, ohne gerichtlichen Befehl die eigenen Bürger abzuhören, müssen sie sich diesen Gerichtsbefehl entweder besorgen, oder sie müssen illegal abhören oder gar nicht.
Nicht abzuhören kommt für diese Spione nicht in Frage. Deshalb, so erklärte mir Le Spion, hören die Amerikaner die ganze Zeit kanadische Gespräche ab und die Kanadier amerikanische Gespräche. Sodann geben die Kanadier den Amerikanern alles, was sie haben, und umgekehrt. Auf diese Weise wird das Gesetz, rein technisch gesehen, nicht gebrochen. Und die ganze Sache ist inzwischen so zur Routine geworden, daß Le Spion den Ausdruck benutzte: »Die publizieren das«, was heißen soll, daß sie diese Informationen regelmäßig und planmäßig austauschen, aber natürlich immer im geheimen.
Diese Abhörmöglichkeit besteht natürlich nicht nur für Telefongespräche, sondern für sämtliche digital durch Satellit übermittelten Informationen wie Banküberweisungen, Telefaxe, elektronische Post (»e-mail«) im Internet, TV-Signale – einfach alles. Soweit ich weiß, ist darüber bisher noch nie geschrieben worden. Soweit ich es beurteilen kann, verstößt es gegen das Gesetz.
In meinem Fall ist der Kommunikationsverlauf leicht zu rekonstruieren: Die Computer nahmen mein Doucet-Telefonat auf Band auf, markierten es als interessant und reichten es an einen Experten weiter, der daraufhin die verschiedenen amerikanischen, kanadischen, französischen, deutschen und britischen Schriftsteller, Mitarbeiter der Außenministerien, Akademiker, Zeitungs- und Fernsehjournalisten und Militärs informierte, die sich mit der Widerlegung meiner Vorwürfe befaßten.
Als ich Le Spion fragte, warum die wegen eines Geschichtsbuchs soviel Aufhebens machten, entgegnete er: »Sie wollten wissen, für wen Sie arbeiten. Besonders als Sie nach Moskau flogen.« Worauf ich sagte: »Es ist doch klar, für wen ich arbeite. Ich arbeite für meine Leser .« Er lachte nur.
Anhang 6
Sterblichkeitsraten ausgewählter Orte
Die folgenden Tabellen zeigen die von einigen
Weitere Kostenlose Bücher