Verschwiegene Schuld
394
1 233
11,0 ‰
Karlsruhe
1946
175 588
1 980
11,3 ‰
1947
184 376
1 975
10,7 ‰
(Kirchen-
register)
1946
175 588
2 039
11,6 ‰
Bemerkungen zu Tabelle B
Bonn: Die amtlichen Bonner Zahlen erwecken den Eindruck, als ob die Sterblichkeitsrate im Wohlstandsjahr 1939, in dem größtenteils noch Frieden herrschte, um 21 Prozent höher lag als im schlimmsten Hungerjahr 1947. Ebenso anomal ist das Verhältnis zwischen 1947 und 1950. Außerdem ergibt die Summe aus Männern (44 048) und Frauen (55 825) nicht die angegebene Gesamt-Einwohnerzahl von 101 498. Angesichts der unterschiedlichen Lebensbedingungen, die in den Jahren 1939, 1947 und 1950 herrschten, erscheint die amtliche Todesrate für das Jahr 1947 unglaubhaft.
Karlsruhe: Da dem Autor die amtlichen Zahlen für Karlsruhe seltsam erschienen, ließ er Nachforschungen in der katholischen und zweien der drei protestantischen Kirchengemeinden anstellen, wobei sich ergab, daß es 1946 allein unter den Mitgliedern der Kirchengemeinden 2039 Tote gegeben hatte. Es läßt sich heute zwar nicht mehr feststellen, wie viele Karlsruher damals Kirchenmitglieder waren; daß jedoch die kirchlichen Begräbnisse allein schon die im Stadtarchiv verzeichneten Sterbeziffern übersteigen, läßt auf die Unzuverlässigkeit der amtlichen Angaben schließen.
Allgemeine Bemerkungen
Alle Orte, die für den Zeitraum 1946-1950 eine nahezu normale Sterblichkeitsrate anzeigen, haben ein Charakteristikum gemeinsam: Sie zeigen diese fast normalen Sterberaten trotz der abnorm harten Lebensbedingungen an, die, was niemand bezweifelt, damals überall in Deutschland herrschten. Einige Städte, beispielsweise Bonn, verzeichnen trotz Hunger, Kälte und Verzweiflung weniger Sterbefalle als in Zeiten des Wohlstands, des Friedens und der Hoffnung wie in den Wirtschaftswunderjahren.
Die Britische Armee berichtete, daß die Sterblichkeitsrate in der Nord-Rheinprovinz 1946 etwa 12 Promille betrug. Sie fiel im Laufe des Jahres, bis sie im September 1946 bei nur noch acht Promille lag, mit weiterhin fallender Tendenz. In Hamburg betrug die Sterberate, den offiziellen Berichten der Britischen Armee zufolge, für das ganze Jahr 1946 14,9 Promille. Von fast 20 Promille im Januar war sie bis zum Jahresende auf nur noch 12,63 Promille zurückgegangen.
Auf der 5. Sitzung des Zonenbeirats am 10./11. Juli 1946 berichtete der Vorsitzende des Wohlfahrtsausschusses, Rudolf Degkwitz, in der »britischen Zone stürben pro Monat im Schnitt 5800 Menschen mehr als in Zeiten mit normalen Lebensverhältnissen«. 5 Da die Sterberate in Hamburg, der größten Stadt in der britischen Besatzungszone, im Jahre 1938 12,03 Promille betragen hatte 6 , bedeutet dies, daß sie 1946 in der gesamten britischen Zone etwa 15,5 Promille betrug. Der Zuwachs mag minimal erscheinen, doch muß man berücksichtigen, daß sie im Laufe des Jahres 1947 weiter anstieg, als sich die Verhältnisse verschlimmerten. Der moderne Leser mag sich ein Bild von dem Ausmaß des Sterbens machen, indem er sich vor Augen hält, daß diese Rate um 50 Prozent höher liegt als zu normalen Zeiten; mit anderen Worten, daß man zu jeweils zwei Personen im Bekanntenkreis, die jüngstens verstarben, den Tod einer weiteren Person hinzurechne n müßte.
Im April 1947 berichtete der Leiter der Kanadischen Militärmission in Berlin, Armeegeneral Maurice Pope, über die älteren Menschen, die einen hohen Anteil der vom Krieg gebeutelten Bevölkerung darstellten, nach Ottawa: »… die Sterberate ist hoch, und auch bei den Selbstmordzahlen sind keine besonderen Anzeichen von Besserung zu erkennen«. Und er schloß: »Zusammenfassend läßt sich sagen, die Verhältnisse sind so schlimm wie eh und je .« Einige Wochen später vermeldete er fünf »belegte« Fälle von Hungertod im Hamburg. 7 Das Wort »belegt« (»authenticated«) spricht Bände.
Wie zahlreiche Autoren berichteten, wußten die Offiziere der Alliierten fast nichts über die wahren Verhältnisse unter der deutschen Zivilbevölkerung. Das Wort »belegt« deutet mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit darauf hin, daß damit Todesfälle gemeint waren, die aus Krankenhäusern berichtet wurden. Doch nur sehr wenige kranke Deutsche kamen damals überhaupt ins Krankenhaus. Der US-Generalstabsarzt berichtete im Oktober 1947: »Die alarmierendste Geißel ist die Tuberkulose … In der britischen Zone insgesamt sind 50000 offene Fälle bekannt, doch nur 12 000 Krankenhausbetten
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