Verschwiegene Schuld
sich um den vollständigen und maßgeblichen Bericht der Roten bzw. Russischen Armee über das Schicksal aller Gefangenen zwischen 1917 und 1957 einschließlich derer der Roten Armee.
»Sprawka« – der Kaschirin-Bericht
1993 erhielt ich einen sechsseitigen Bericht in russischer Sprache von dem russischen Armeehistoriker Andrej I. Kaschirin, den ich in Moskau zusammen mit seinen Mitarbeitern auch ausführlich interviewt hatte. Ich bin überzeugt, daß Kaschirin diesen Bericht über das Schicksal der Kriegsgefangenen in der Sowjetunion, der auf verschiedenen früheren Berichten basiert, nach bestem Wissen und Gewissen erstellt hat. Der Kaschirin-Bericht verzeichnet das Schicksal aller Kriegsgefangenen in der Sowjetunion zwischen 1941 und 1952.
Der Bulanow-Bericht
Dieser einseitige, vom NKWD erstellte und von 1956 datierte Bericht gibt, nach den drei Dienstgradgruppen eingeteilt, über einen Zeitraum von 15 Jahren (1941-56) Auskunft über das Schicksal von Kriegsgefangenen aus 17 Ländern. Es war der NKWD unter Lawrentij Berija, der die Kriegsgefangenenlager (GUPWI) betrieb und darüber Buch führte.
Die vorstehenden umfassenden Berichte stimmen in allen Informationen über Kriegsgefangene, die für das vorliegende Buch wesentlich sind, überein. Die folgenden Berichte heben Einzelaspekte hervor.
Der Petrow-Bericht
Hintergrund dieses Berichtes ist, daß im Juni 1943 Generalleutnant Iwan Petrow, Leiter der Abteilung Kriegsgefangene im MWD/NKWD, einer Parteiversammlung der Offiziere seiner Abteilung über die Todesfälle unter den Kriegsgefangenen berichtete. Da es sich um eine Parteiversammlung handelte, wurde der Bericht nicht von Berija zensiert und entsprach deshalb mit Sicherheit der Wahrheit, wie Petrow sie kannte. Seinem Bericht zufolge waren während des gesamten Krieges bis zum Mai 1943 insgesamt 193 003 Angehörige von Wehrmacht und Streitkräften anderer mit Deutschland verbündeter Staaten in sowjetischer Gefangenschaft umgekommen. Andererseits hatte Berija zuvor Stalin berichtet, daß bis zum Stichtag 26. Februar 1943 33 000 Gefangene während des gesamten Krieges umgekommen seien. Setzt man beide Zahlen zueinander in Bezug, so ergibt sich, daß in den dazwischenliegenden zwei Monaten etwa 160 000 Gefangene – 62 Prozent bei einem Gesamtbestand von 257 000 Gefangenen – entgegen Stalins Anweisungen umgekommen sein müssen. Dies lag daran, daß die Rote Armee auf derart große Gefangenenzahlen nicht eingestellt war.
Nach dem anfänglichen Durcheinander in Stalingrad arbeiteten NKWD und Armee eng zusammen, wodurch sich die Versorgung der Kriegsgefangenen drastisch verbesserte. Nachdem die Rote Armee deutschen Boden betreten hatte, wurden Kriegsgefangene, die beim Transport von der Front in die NKWD-Lager umkamen oder flüchteten, einfach durch die erstbesten Zivilisten ersetzt, die man ergreifen konnte, damit die Zahl der Gefangenen bei der Ablieferung noch stimmte.
Die westdeutschen Erhebungen
Die Bundesregierung hat in verschiedenen Erhebungen festgestellt, daß 1953 noch 1 407 000 westdeutsche Kriegsgefangene nicht zurückgekehrt waren.
Zuständig für diese Umfragen war in erster Linie der Ausschuß für Kriegsgefangenenfragen unter Leitung von Dr. Margarethe Bitter. 1
Nach Auskunft von Dr. Bitter wurden bei ihren Umfragen deutsche Familien nach vermißten Gefangenen und deren letztem bekannten Aufenthaltsort befragt. Etwa 94 Prozent aller Familien in den drei Westzonen wurden erfaßt, dazu etwa 30 Prozent der in der Sowjetzone lebenden Familien. Von den Deutschen, die in den ehemaligen deutschen Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße zurückgeblieben waren, wurde niemand befragt, so daß eine beträchtliche Zahl Vermißter nicht in der offiziellen Zahl von 1,4 Millionen Vermißten enthalten ist. Da Dr. Bitters Umfrage nur etwa 52 Millionen der rund 68 Millionen Deutschen erfaßte, kann man bei vorsichtiger Schätzung von mindestens 300 000 weiteren gefangenen Soldaten ausgehen, die nicht zurückkehrten. Insgesamt ergeben sich somit rund 1,7 Millionen Soldaten, denen noch die 271 000 Zivilpersonen hinzuzurechnen sind, die von den Sowjets ebenfalls gefangengenommen wurden.
Darüber hinaus starben in den Lagern der Alliierten natürlich nicht nur Deutsche. In den Lagern der Westmächte waren auch viele Gefangene anderer faschistischer Staaten untergebracht. In einem US-Lager bei Marseilles zählte das Rote Kreuz etwa 12 Prozent nichtdeutsche Gefangene. (Den
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