Verschwörung beim Heurigen
... werde den Alten schon zum Unterschreiben kriegen. Der ist fertig ... «. Es war Richards Stimme. Von innen wurde die Bürotür zugezogen. Carl hätte sonst was dafür gegeben, Richard von hinten
durch eine Tür gehen zu sehen.
Der Wind hatte zugenommen und nach Westen gedreht, er traf Carl schräg von der Seite. Er schaute hinüber zum See, aber die
milchige Fläche war so weit entfernt, dass die weißen Segel kaum als Dreiecke auszumachen waren. Wie ging es mit Johanna weiter?
Konnte es überhaupt weitergehen? Wieder kam ihm die Möglichkeit einer Trennung in den Sinn, zumindest für eine gewisse Zeit.
Sollten sie sich besser eine Weile nicht sehen? – Ach, sie würden sich lediglich weiter auseinanderleben. Und bei ihrem Umgang
mit den erfolgreichen Männern würde sich ihr Eindruck von ihm als Versager nur verstärken.
In Purbach wechselte Carl zurück auf die Landstraße, die |107| Lastwagen kamen bedrohlich nahe. Er musste Wege um die Ortschaften herum suchen, sonst würde er bald zermalmt unter einem
dieser kroatischen Sattelschlepper liegen, die im Zentimeterabstand an ihm vorbeidonnerten. Österreicher hielten Abstand,
aber die Osteuropäer hatten die neuen Regeln noch nicht kapiert. Nur wie sollte jemand, der gerade vom Kapitalismus überrollt
wurde, andere respektieren? Hinter Purbach setzten sich die Wirtschaftswege fort und endeten wieder vor Donnerskirchen, wo
er auf dem Fußweg weiterfuhr. Das letzte Stück bis nach Mörbisch legte er auf der Straße zurück.
Die Versammlung der Sieben in Karolas Kellerei war die traurigste Zusammenkunft, an der Carl jemals teilgenommen hatte. Der
Verlust ihrer Freundin war den übrig gebliebenen sechs Winzerinnen ins Gesicht geschrieben, es war Entsetzen und Fassungslosigkeit,
Bestürzung und Schreck darin zu lesen – und er als einziger Mann dazwischen. Aber Karola machte es ihm leicht, sie stellte
ihn vor, berichtete gefasst vom Vortag – und dann kam der Satz, vor dem er sich am meisten fürchtete:
»Er war es, der Maria gefunden hat.«
Sechs Augenpaare durchbohrten ihn, drangen in die geheimsten Winkel vor, sechs Frauen stellten im selben Moment dieselben
Fragen, Gesichter, die er nie zuvor gesehen hatte. Carl wurde heiß, wahrscheinlich bekam er rote Ohren, er schluckte und fragte
sich ernsthaft, ob es irgendetwas in seinem Leben gäbe, das sich geheim halten ließ, das er vor diesen Geschworenen verbergen
könnte. Oder fürchtete er, erkannt zu werden, in seiner Begeisterung und Ausdauer sowohl wie in seiner Schwäche und Jämmerlichkeit?
Klagten sie ihn an, machten sie ihn verantwortlich? Sahen sie einen Zusammenhang zwischen ihm und dem Tod ihrer Freundin,
Kollegin oder Schwester? Waren nicht Frauen den Männern gegenüber alle Schwestern? Und wenn es so war, was dann? Erkannt,
durchschaut und verurteilt ...
|108| Ich sollte mich mit leichteren Stoffen beschäftigen, dachte Carl, mehr Engländer übersetzen statt Portugiesen, deren Leben
einem schwermütigen Fado ähnelte, und wenn das Leben tatsächlich nur aus Oberfläche bestand, sich nur zwischen Burger King
und Microsoft erstreckte, und genauso langweilig war wie ...
»Ist es wahr, dass Sie jemanden haben weglaufen sehen?«, fragte eine der Frauen; es war Ellen aus Illmitz, die Süßweinspezialistin
der Gruppe von der anderen Seite des Sees. Ihre Frage befreite ihn vom Grübeln.
»Als ich kam – ja! Wir haben das mit der Polizei vorhin nachgestellt.«
»Sagen Sie uns was, erzählen Sie bitte, Sie können sich denken, dass wir alles wissen wollen. Was in der Zeitung steht«, sie
wies auf ein Blatt, das auf dem Tisch lag, »damit kann man nichts anfangen.«
»Wir wollen wissen, was geschehen ist, so genau wie möglich«, drängte eine andere, sie hatte ein Taschentuch um den Finger
gewickelt und tupfte sich die Nase. »Es ist so fürchterlich, ein Verbrechen in unserer Mitte. Das kann es eigentlich nicht
geben. Wer tut so etwas? Wer ist da weggelaufen?«
Carl war es fürchterlich peinlich, im Mittelpunkt zu stehen. Es fiel ihm schwer, vor Menschen zu sprechen, außer in der Dolmetscherkabine.
Er fand hier nur schlecht Worte, die ihm am Schreibtisch, wenn vor ihm das zu übersetzende Buch lag, in Massen einfielen –
zu viele, als dass er sie bewältigen könnte, und so rasten seine Hände normalerweise über die Tastatur. Schon wieder flüchte
ich mich, dachte er. Und er begann zu sprechen. Langsam zuerst, Wort für Wort
Weitere Kostenlose Bücher