Verschwörung in Florenz
Tatsächlich gelang es ihr mühelos. Sie hatte nicht einmal mehr Kreislaufprobleme.
»Wie du siehst, Matilda, scheint die Signorina in der Tat vollständig genesen«, sagte Lorenzo und erhob sich. »Hilf ihr beim Ankleiden.«
Als Anne kaum eine Stunde später in der Kutsche saß, kam ihr alles wie ein Traum vor. Sie fuhr durch die vertrauten Straßen von Florenz, sah hinaus auf dieselben Häuser, die gleichen Menschen. Und doch hatte sich alles geändert. Die Fassaden der Häuser mochten noch dieselben sein wie vor dem 26. April, aber seit jenem furchtbaren Tag waren mehrere Wochen vergangen, und Giuliano, der Liebling aller, war nicht mehr. Die Menschen auf den Straßen wirkten verstört, verbittert oder verschlossen. Kaum jemand lächelte. Und als sie an jenem Palazzo vorbeifuhren, der in späteren Jahren den Namen Bargello erhalten würde, prangte dort immer noch das große, erschreckend realistische Gemälde, an dass sie sich aus einem ihrer Wachträume erinnerte – das Gemälde mit den Köpfen der hingerichteten Verschwörer.
Die Fahrt dauerte nicht lange. Die Kutsche hielt, der Kutscher öffnete den Verschlag und half ihr beim Aussteigen. Nachdenklich blickte Anne die Fassade des Hauses der Pazzi empor. Wie lange mochte es her sein, als sie das letzte Mal hier gewesen war? Sie konnte sich noch gut daran erinnern, mit wie viel Hoffnung sie Giacomo de Pazzi damals verlassen hatte. Und nun? Sie war überfallen worden, Giuliano war tot, und das Haus der Pazzi sah aus, als hätte es als Kriegsschauplatz gedient. Die Fensterläden hingen schief in ihren Angeln oder waren herausgerissen, zahlreiche Fensterscheiben waren zerbrochen. Überall auf der prächtigen Fassade waren mit Kohle und Farbe Worte gekritzelt wie »Mörder«, »Nieder mit den Pazzi«, »Verräter«, »Eure Köpfe sollen rollen«. Und die Eingangstür schaute aus, als hätte man versucht sie mit einem Rammbock aufzubrechen. Anne traute sich kaum zu klopfen. Sie musste mit der Faust gegen die Tür schlagen, da der Türklopfer aus seiner Verankerung gerissen worden war und in zwei Stücke zerschmettert am Boden lag. Sie klopfte dreimal und wartete.
Sie musste lange warten, bis sie endlich das leise Geräusch von über den Marmor der Eingangshalle schlurfenden Schuhen vernahm. Dann erklang aus dem Inneren des Hauses eine zittrige dünne Stimme.
»Wer ist da?«
»Donna Lucia?«, rief Anne und war nicht wenig überrascht, dass die Alte selbst zur Tür kam. »Seid Ihr es, Donna Lucia? Ich bin es, Signorina Anne. Ihr wart so freundlich, mir einen Brief zu schreiben und mich zu Euch einzuladen.«
Geräusche, als würden in der Halle der Pazzi die Möbel verschoben, erklangen. Erneut musste Anne sich in Geduld üben, bevor die Riegel einer nach dem anderen zurückgeschoben wurden. Endlich öffnete sich die Tür, und in dem schmalen Spalt tauchte das faltige Gesicht von Donna Lucia auf.
»Ihr seid es wirklich«, stellte die Alte fest und öffnete die Tür gerade so weit, dass Anne sich mit ein wenig Mühe hindurchzwängen konnte. Hinter ihr schloss Donna Lucia die Tür wieder und schob mindestens ein Dutzend Riegel unterschiedlicher Größe vor. Viele dieser Riegel sahen aus, als ob sie ursprünglich für andere Türen gedacht gewesen und erst vor kurzem in aller Hast an die Haustür genagelt worden waren. Dann beobachtete Anne voller Staunen, wie Donna Lucia einen Holzbalken aufhob und damit die Tür verrammelte und schließlich noch eine der schweren Truhen vor den Eingang schob. Anne fragte sich, weshalb die alte Frau solche anstrengenden Arbeiten selbst ausführte und nicht nach einem der Diener rief.
»Verzeiht, Signorina Anne«, sagte Donna Lucia und stützte sich schwer atmend auf ihren Stock. Mit einem Seidentuch tupfte sie sich ein paar Schweißperlen von der Stirn, dann rückte sie sich den Schleier aus zarter schwarzer Spitze zurecht, den sie um Kopf und Schultern trug, und richtete sich auf. »Ich habe Euch nicht standesgemäß begrüßt. Doch das Leben ist schwer in diesen Tagen. Die Diener sind fort – geflohen, vertrieben oder erschlagen. Und meine Familie …« Sie machte eine Handbewegung. »Ich habe in den vergangenen Wochen mehr Neffen, Vetter und Schwager verloren als in meinem ganzen bisherigen Leben. Der Rest meiner Tage wird nicht einmal mehr ausreichen, um lange genug Trauer zu tragen. Ich bin die Einzige, die von der stolzen Familie der Pazzi noch übrig ist, um das Haus gegen die Meute da draußen zu verteidigen. Eine
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