Verschwörung in Florenz
ergriff ihre Handtasche und holte ihr Handy heraus. Zuerst wunderte sie sich darüber, dass die Tasche immer noch am selben Platz stand. Doch dann fiel ihr wieder ein, dass es gerade erst fünfzehn Stunden her war, seit sie das Hotel verlassen hatte. Fünfzehn Stunden waren noch lange kein Grund, ein Hotelzimmer anderweitig zu vermieten. Anne holte tief Luft und tippte Thorstens Nummer ein. Er schien auf ihren Anruf gewartet zu haben, denn gleich nach dem ersten Klingeln ging er ran.
»Ja?«
»Thorsten, hier ist …«
»Anne? Verdammt, wo steckst du? Ich warte bereits seit über einer halben Stunde auf dich. Nun schwing deinen Hintern endlich hierher. Es geht in zwanzig Minuten los und …«
»Thorsten«, unterbrach Anne seinen Redefluss, »ich kann nicht.«
Am anderen Ende war es still. »Was soll das heißen, du kannst nicht?«, fragte er schließlich.
»Dass ich nicht kommen kann. Ich bin krank.«
»Krank? Du meinst wohl, du hast auf diesem feinen Kostümfest etwas zu viel gebechert. Und nun hast du einen Kater und …« Er brach ab, und sie konnte sich vorstellen, wie ratlos und gleichzeitig wütend er jetzt aussah. Sie konnte ihn sogar verstehen, aber es ging wirklich nicht. »Und was jetzt?«
»Du musst die Reportage eben allein durchziehen.«
»Und wie soll ich das bitte machen? Kannst du mir das sagen?« Seine Stimme überschlug sich fast.
»Du machst Fotos, machst dir in Gedanken ein paar Notizen, wer anwesend ist und so, und vor allem merk dir, wer das Calcio gewinnt. Den Rest werde ich schon erledigen, wenn wir wieder zu Hause sind. Okay?«
Sie konnte fast hören, wie Thorsten sich die Haare raufte.
»Okay«, sagte er dann mit einem Seufzer, als würde man ihn zwingen, alle Leiden der Welt auf sich zu nehmen. »Ich werde mein Bestes tun. Aber ich kann für nichts garantieren. Und was machst du?«
»Ich bleibe im Bett und versuche zu schlafen. Wann fährt unser Zug?«
»Um achtzehn Uhr. Ich wecke dich rechtzeitig.«
»Danke. Ach, noch was, das bleibt bitte unter uns, okay?«
»Klar. Du kannst dich auf mich verlassen. Jetzt muss ich aber los, die nehmen schon alle ihre Plätze auf der Tribüne ein.«
»Viel Glück.«
»Danke, das werde ich brauchen.«
Er unterbrach die Verbindung. Anne schaltete ihr Handy ab und ließ sich wieder zurücksinken. Was war nur mit ihr los? Noch nie hatte sie ihre Arbeit im Stich gelassen. Am besten, sie würde ein Bad nehmen. Vielleicht ging es ihr danach besser.
Mühsam stand Anne auf und schleppte sich ins Badezimmer. Während das Wasser in die Wanne lief und sich nach Zitronengras duftende Schaumkronen auf der Wasserober-fläche bildeten, kleidete sie sich aus. Gedankenverloren betrachtete sie sich im Spiegel. Ihr Bauch war dicker als sonst, ihre Hüfte runder. Wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie gedacht, dass sie wie eine schwangere Frau aussah. Oder eine Frau, die gerade ein Kind bekommen hatte. Oder bildete sie es sich nur ein? Vorsichtig legte sie eine Hand auf den Bauch. Da war nichts, gar nichts. Keine Bewegung, kein Leben. Und doch konnte sie sich so gut daran erinnern, wie es sich angefühlt hatte, die Bewegungen des Kindes zu spüren, die winzigen Beinchen strampeln zu fühlen. Ihr Traum war auch in dieser Hinsicht überaus realistisch gewesen.
Anne drehte das Wasser ab und stieg in die Wanne. Langsam, da es sie große Mühe kostete, ließ sie sich in den dicken, wundervoll duftenden Schaum gleiten. Sie schloss die Augen und fühlte sich leer. Leer im wahrsten Sinne des Wortes. Sie öffnete ihre Augen wieder und sah, dass sich ein Teil des weißen Schaums zartrosa färbte. Rote Schlieren trieben durch das Wasser. Sie blutete. Erschrocken setzte Anne sich in der Wanne auf. War das denn möglich? Sie hatte ihre Monatsblutung doch erst vor vierzehn Tagen gehabt, und eigentlich kam sie so regelmäßig, dass sie die Uhr danach stellen konnte. Sie ließ sich wieder in das Wasser zurückgleiten und legte eine Hand auf ihren Bauch, der ihr so dick und unförmig vorkam und gleichzeitig so erschreckend leer war, und begann hemmungslos zu weinen.
Als Thorsten dann um fünf Uhr abends vor ihrer Zimmertür stand, war Anne bereits mit Packen und Anziehen fertig.
»Hallo!«, sagte Thorsten, und das Lächeln fror auf seinem Gesicht ein. »Mann, du siehst vielleicht fertig aus. Bist du sicher, dass du nicht lieber zu einem Arzt gehen solltest?«
»Ja.« Anne hatte selbst nicht mehr gewagt, sich im Spiegel zu betrachten. Sie trug ihre weit
Weitere Kostenlose Bücher