Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verschwörung in Florenz

Verschwörung in Florenz

Titel: Verschwörung in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
Vom Netzwerk:
Hexe, während ihr Tränen über die Wangen liefen. »Verdammt noch mal, weshalb habt ihr mir nicht geglaubt? Warum? Und wer von euch hat mich im Zimmer eingeschlossen?« Außer sich vor Zorn, Trauer und Schmerz begann sie mit ihren Fäusten auf Lorenzo einzuschlagen. »Wer von euch ist das gewesen? Wenn ich heute zu ihm hätte gehen können, wäre Giuliano vielleicht noch am Leben!« Wie von Sinnen schlug sie auf Lorenzo ein, der sich noch nicht einmal die Mühe gab, ihren Fäusten auszuweichen. Sie traf ihn am Kopf, im Gesicht, auf der Brust und im Bauch. Es musste ihm wehtun, und doch wehrte er sich nicht dagegen. Ihr selbst tat es weh, doch der Schmerz war nicht in der Lage, sie zu betäuben, geschweige denn den anderen Schmerz vergessen zu lassen. Giuliano war tot! Sie hatte gewusst, dass es geschehen würde, und sie hatte es nicht verhindert. Sie hatte versagt. Sie ließ von Lorenzo ab, fuhr sich mit den Händen in die Haare und zog mit aller Gewalt daran. Am liebsten hätte sie sich die Haare ausgerissen, sich die Haut in Streifen vom Leib gezogen, nur um diesen anderen, diesen entsetzlichen, furchtbaren Schmerz nicht mehr spüren zu müssen.
    »Anne, es tut mir Leid«, sagte Lorenzo mit tränenerstickter Stimme und nahm sie in den Arm. »Es tut mir Leid.«
    Sie krallte sich an seinen breiten Schultern fest und schrie und weinte, als wollte man ihr das Herz herausreißen. Und so ein Gefühl war es auch. Giuliano war tot. Das war das Ende. Das Ende aller Tage.

VIII
    Der Monat danach
    In den folgenden Wochen befand sich Anne in einem Dämmerzustand. Sie hörte nichts, sie spürte nichts, ihre fortschreitende körperliche Genesung nahm sie kaum wahr. Die Menschen, die sich um sie bemühten, sich um sie kümmerten – Matilda, Lorenzo, Clarice, der Arzt –, registrierte sie kaum. Sie waren wenig mehr als kleine rasch vorbeihuschende Schatten in dem dichten, undurchdringlichen Nebel, der sie umgab. Nur manchmal war es, als würde ein heftiger Wind die Nebelschwaden auseinander reißen, sodass das gleißende Licht der Sonne für einen Augenblick zu ihr durchdringen konnte. Es waren kurze Momente, Situationen und Begebenheiten, die wie an die Leinwand geworfene Dias plötzlich vor ihr aus dem undurchdringlichen Grau auftauchten. In beinahe schmerzhafter Intensität nahm sie jedes noch so kleine Detail wahr und erinnerte sich bis in ihre Träume daran – an Gerüche, Geräusche, Gefühle, Dekoration, Farben.
    Wie zum Beispiel an den Augenblick, als sie zu dem in der Kapelle der Medici aufgebahrten Giuliano gebracht worden war, um sich von ihm zu verabschieden. Sanft fiel das Licht durch die Fenster. Überall standen Kerzen, auf dem Altar, auf den Stufen, zu Füßen der Bahre, am Kopfende. Sie erinnerte sich an den Geruch des Kerzenwachses, das von den großen, schweren Messingleuchtern hinab auf den Marmorboden getropft war. Sie sah Giuliano auf der Bahre liegen, inmitten eines Blumenmeeres, die Hände vor der Brust gefaltet, wie ein verstorbener König. Sein braunes lockiges Haar war so sorgfältig gekämmt, dass es im Licht der Kerzen schimmerte. Er trug seine beste Kleidung, die bunte Weste aus chinesischer Seide, die ihm so gut stand, das weiße Leinenhemd mit den zarten florentinischen Spitzen an den Ärmelbündchen, die Hose aus dunkelroter Wolle, die rechts auf dem Oberschenkel einen kaum sichtbaren Wein-fleck hatte, der entstanden war, als ihnen beiden während eines Mahles der Appetit auf etwas anderes gekommen war. Rechts und links der Bahre stiegen aus Weihrauchgefäßen dünne Rauchsäulen auf, um den Leichengeruch zu überdecken. Mit neunzehn Messerstichen war Giuliano getötet worden. Zwei Tage hatte der Bestatter gebraucht, um seinen Körper so herzurichten, dass er aufgebahrt werden konnte. Der Körper sah aus wie der von Giuliano, und doch war er es nicht. Seinem Gesicht fehlte die Lebendigkeit, die Farbe, das Lächeln. Das, was dort auf der Bahre lag, schien eine Wachspuppe zu sein. Anne hatte sich nicht überwinden können, ihn zu berühren, geschweige denn zu küssen. Sie hatte gespürt, dass man es von ihr erwartete, doch sie war nicht dazu fähig. Sie wollte dieses tote Fleisch nicht anfassen, diesen Körper, der abgesehen von der äußeren Hülle keine Gemeinsamkeit mit Giuliano hatte. Wie ein verstocktes Kind hatte sie ihre Hände hinter dem Rücken verschränkt, ohne auf das empörte Flüstern der Leute hinter ihr zu achten. Und dann hatte der dicke graue Nebel sie erneut eingehüllt wie

Weitere Kostenlose Bücher