Verschwörung in Florenz
geschnittene Leinenhose mit dem Tunnelzug im Bund und einen weiten Pullover darüber. Sie kam sich unförmig und plump vor, doch sie konnte nichts Enges um den Bauch herum ertragen. Sie war bleich wie eine Wand. Sie hatte es noch nicht einmal geschafft, sich zu schminken. Es war wohl das erste Mal seit nahezu zwanzig Jahren, dass sie ohne Makeup auf die Straße ging. Zur Tarnung ihrer dunklen Augenränder setzte sie ihre Sonnenbrille auf. »Ich will nur nach Hause. Und ich wäre dir dankbar, wenn du mich in Ruhe lassen würdest.«
»Ist schon gut«, entgegnete Thorsten und sagte tatsächlich kein Wort mehr, weder im Taxi noch auf dem Bahnhof, wo sie einen Espresso tranken und Anne sich in einer kleinen Drogerie mit drei Packungen der saugfähigsten Binden eindeckte, nicht einmal, als sie in ihrem Abteil erster Klasse einander gegenübersaßen und darauf warteten, dass der Zug endlich losfuhr. Hin und wieder sah er über den Rand seiner Zeitung hinweg zu ihr herüber. Anne bemerkte seinen fragenden Blick. Thorsten war nicht blöd. Er musste längst wissen, dass ihr Zustand über den eines gewöhnlichen Katers weit hinausging. Aber was war nun eigentlich mit ihr los? Sie fühlte sich körperlich zerschlagen, kaputt. Sie hatte ungewöhnlich starke Blutungen. Und gleichzeitig fühlte sie sich, als hätte sie wirklich ihren Mann und ihren Sohn verloren. Es war wie ein Loch in ihrer Seele, ein großes schwarzes gähnendes Loch. Ein Grab. Aber das war doch verrückt. Es war alles nur ein Traum gewesen. Ein Traum, weiter nichts.
Der Zug setzte sich mit einem Ruck in Bewegung. Anne sah aus dem Fenster. Häuser glitten an ihr vorüber. Häuser, die im 15. Jahrhundert noch nicht gestanden hatten. Damals waren hier noch Felder, kleine Wälder, in denen Giuliano, Lorenzo und Cosimo regelmäßig zur Jagd gingen. Und dort auf dem Hügel hatte das Landgut gestanden, jenes, für das Botticelli die Geburt der Venus gemalt hatte, und … Aber das war nur im Traum passiert. Im Traum. Und im Traum hatte sie Giuliano geliebt, so unglaublich geliebt …
Tränen füllten ihre Augen, und Anne war froh über ihre Sonnenbrille, hinter der sie sich wenigstens ein bisschen vor Thorstens neugierigen Blicken verstecken konnte. Was war nur mit ihr geschehen? Was hatte Cosimos geheimer Trunk in ihr ausgelöst? »Elixier der Ewigkeit« hatte er ihn genannt – in ihrem Traum. Und wenn das alles doch kein Traum gewesen war? Wenn es dieses Elixier wirklich gab, diesen Trunk mit der Fähigkeit, einen Menschen in die Vergangenheit zu versetzen? Wenn sie wirklich …
Wenn ich wieder zu Hause bin, hole ich mir sofort einen Termin bei meiner Gynäkologin. Ich muss zu ihr gehen, so schnell wie möglich, sonst werde ich noch verrückt, dachte Anne, während die schöne Landschaft der Toskana an ihr vorüberglitt. Sie kaute auf ihrem Daumennagel, um nicht in Tränen auszubrechen. Vielleicht konnte ihre Ärztin ihr sagen, ob sie schwanger gewesen war. Vielleicht gab es eine Untersuchungsmethode, einen Test, mit dem sich das feststellen ließ. Und wenn nicht, so konnte sie wenigstens von ihr eine Krankschreibung für die nächsten Tage bekommen. Solange sie brauchte, um Klarheit zu gewinnen. Um wieder zu sich zu kommen. Und um diesen unglaublichen, schrecklichen, beängstigenden Traum zu vergessen. Diesen Traum, der letztlich so schön gewesen war, dass sie sich aus tiefster Seele wünschte, es wäre wirklich passiert.
Anmerkung der Autorin
Die Handlung dieses Romans ist frei erfunden, ebenso die meisten der handelnden Personen. Dies trifft auch auf einige der Mitglieder der Familien Pazzi und Medici zu.
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