Verschwörung in Florenz
eben in den Finger gestochen.
Wenn Giacomo doch Recht hat, dachte Cosimo und streckte langsam die Zunge heraus. Wenn dies eine Falle ist und jeder, der von diesem Elixier nimmt, in ein Ungeheuer verwandelt wird oder in der Hölle landet oder …
Sein Herz klopfte bis zum Hals, die Kehle wurde ihm eng. Doch bevor Angst und Mutlosigkeit den Sieg über ihn erringen konnten, leckte er den Finger ab.
Für einen kurzen Augenblick dachte Cosimo, dass sein Herz stehen geblieben war. Doch dann merkte er, dass ihn lediglich die Angst verlassen hatte. Denn was er jetzt erlebte, war einfach überwältigend. Der köstliche Geschmack von Veilchen, süßen Mandeln und Honig breitete sich auf seiner Zunge aus. Er fühlte sich heiter und beschwingt, fast berauscht, als hätte er zu viel Wein getrunken. Doch fehlte diesem Rausch jene bleierne Schwere, die nur allzu oft mit dem Genuss von Rotwein verbunden war. Er wollte tanzen, Giacomo erzählen, wie wunderbar alles war, doch die Gegenstände um ihn herum nahmen seltsame Gestalt an. Sie wirkten verzerrt und verschwommen in einem Nebel, der sich wie ein Schleier aus feiner durchsichtiger goldener Seide über alles legte. Cosimo streckte seine Hand aus, langsam und vorsichtig. Er konnte den Nebel fast berühren. Und plötzlich hatte er das sichere Gefühl, dass er seine Reise beginnen würde, sobald er selbst in diesen Nebel eintauchte. Erneut begann sein Herz heftig zu klopfen, doch die Erregung darüber, das Geheimnis des Elixiers zu ergründen, übertraf seine Furcht. Er straffte die Schultern, atmete tief ein und trat einen Schritt vor. Wohlige Wärme ging von dem Nebel aus, und Cosimo wagte einen weiteren Schritt. Jetzt berührte er ihn tatsächlich. Er war weich und zart wie das feinste Gewebe. Und dann dieser Duft! Es war, als befände er sich inmitten einer Wiese voller in Blüte stehender Veilchen. Er ließ sich betören, wagte noch einen Schritt und noch einen. Und dann dachte Cosimo an nichts mehr.
II
Hamburg, 4. August 2003
Anne Niemeyer saß in ihrem Büro hinter dem Schreibtisch und starrte aus dem Fenster. Sie war wütend. Sie war so wütend, dass ihr das Blut in den Schläfen pochte und ihre Finger unablässig auf die Tischplatte trommelten. Nicht einmal die brennende Duftkerze half, obwohl ihr Lavendelaroma sie sonst in hektischen Zeiten oder während drohender Krisen immer beruhigte. Sie war so wütend, dass sie noch nicht einmal mehr an ihre Arbeit denken konnte. Und das alles nur wegen Carsten, dem Chefredakteur des Frauenmagazins, für das sie arbeitete. Während der Redaktionssitzung hatte er erklärt, dass die von ihr bereits sorgfältig vorbereitete Reportage über die schönsten Badebuchten Brasiliens auf einen späteren Zeitpunkt verschoben würde. Und dann, sozusagen als Krönung, hatte er ihr eröffnet, dass der freie Posten der stellvertretenden Chefredakteurin nicht an sie, sondern an ihre Kollegin Susanne Main vergeben werde.
Statt also die nächste Redaktionssitzung zu leiten und bald nach Rio zu fliegen, sollte sie nun ihre Koffer packen und Ende August nach Florenz reisen, um dort von dem mittelalterlichen Spektakel Calcio in Costume zu berichten wie eine kleine freie Mitarbeiterin, die sich ihre journalistischen Sporen noch verdienen musste. Als sie gegen diese Entscheidungen aufbegehrt hatte, hatte Carsten nur gelacht und gesagt, dass sie sich nicht so aufregen solle. Vor den anwesenden Herausgebern. Als ob sie eine hysterische Hausfrau wäre, die sich dagegen sträubte, dass ihr Yogakurs um eine Stunde verlegt werden sollte. Dabei hatte Carsten selbst erst vor kurzem zu ihr gesagt, sie sei die perfekte Stellvertreterin. Dabei war er anfangs selbst Feuer und Flamme gewesen, was die Brasilien-Story betraf, und hatte ihr sogar großzügige Mittel versprochen.
Woher dieser plötzliche Stimmungswandel kam, war nur zu klar. Es fiel Carsten leicht, seine Meinung zu ändern – entsprechend dem Wind, der gerade aus der Verlagsleitung wehte. Warum auch nicht. Er hatte nicht seine Freizeit geopfert, um der vernachlässigten und etwas angestaubten Reiserubrik des Magazins ein neues, zeitgemäßes Image zu verleihen. Allein in der Brasilien-Sache steckte ein Monat Arbeit. Sie hatte umfangreiche Recherchen betrieben, Kontakte mit einheimischen Prominenten, Hoteliers und Restaurantbesitzern überall auf der Welt geknüpft, Fotografenteams zusammengestellt. Er hatte das alles nicht getan, sondern sie. Natürlich neben ihren täglichen Pflichten in der
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