Verschwörung in Florenz
Tür der Galerie.
»Guten Tag«, sagte sie zu der jungen Frau, die ein paar Kunstpostkarten in einen Ständer sortierte. »Ich möchte das Bild kaufen, das in ihrem Schaufenster hängt.«
Eine halbe Stunde später saß Anne gemeinsam mit ihrer Freundin Angie in einem Straßencafé auf der Mönckebergstraße. Es war ungewöhnlich warm in Hamburg, so warm, dass es die Menschen geradezu magisch in die Mönckebergstraße zog, zwischen die großen Kaufhäuser der Stadt, wo selbst im Hochsommer bereits zur Mittagszeit Schatten herrschte. Zudem war es mittlerweile nach siebzehn Uhr. Viele Hamburger hatten Feierabend, bummelten an den Schaufenstern vorbei und wollten nur eines – den Sommer und die Wärme genießen. Die wenigen Straßencafés waren überfüllt. Trotzdem war es den beiden Freundinnen gelungen, in ihrem Lieblingscafé einen freien Tisch zu ergattern. Und während sie noch auf ihre Eisbecher warteten, zündete sich Anne eine Zigarette an und erzählte ihrer Freundin von Carstens unmöglichem Verhalten in der Redaktionssitzung. Als sie fertig war, schwieg Angie eine Weile.
»Du hättest den Posten der stellvertretenden Chefredakteurin verdient, Anne«, sagte Angie schließlich. »Du hast hart dafür gearbeitet, und deine Reaktion ist somit durchaus verständlich. Allerdings hast du selbst erst vor kurzem Susannes journalistische Fähigkeiten gelobt. Und wenn ich dich richtig verstehe, war der Posten für die Stellvertretung in eurer Redaktion ausgeschrieben. Du hast dich beworben, Susanne hat sich beworben, und ihr wart vermutlich nicht die Einzigen. Egal, was Carsten vorher zu dir gesagt hat, du hast nie eine feste Zusage von ihm bekommen. Und insofern konntest du auch nicht hundertprozentig mit dem Job rechnen. Für diese Brasilien-Sache hast du doch bislang kein Wort geschrieben. Ich kann mich an Projekte erinnern, für die du härter gearbeitet hast und die dann ebenfalls in letzter Sekunde nicht gedruckt wurden. Du solltest …«
»Du meinst also, ich soll mich nicht so aufregen?«
Angie legte ihr beschwichtigend eine Hand auf den Arm.
»Das will ich damit nicht sagen, Anne. Aber du kennst doch Carsten. Immer wieder ärgerst du dich über ihn und seine Unfähigkeit, zu seiner eigenen Meinung zu stehen. Für gewöhnlich tust du es als das ab, was es ist – die Charakterschwäche eines Mannes, der in eine leitende Position kam, weil sein Vater mit dem Herausgeber eurer Zeitung regelmäßig Golf spielt. Jetzt aber bist du verletzt, enttäuscht und wütend. Und so verständlich es auch sein mag, ich bin der Ansicht, dass ein ganz anderer Grund dahinter steckt. Darf ich sagen, was ich denke?«
»Nur zu.«
»Ich vermute, dass du dich weit weniger darüber aufregen würdest, wenn es geheißen hätte, dass du nach Budapest, Prag oder Krakau fahren sollst. Ich glaube, dich ärgert einfach die Tatsache, dass Carsten dich ausgerechnet nach Florenz schickt.« Angie lächelte. »Und das wiederum wirft natürlich die Frage auf, weshalb du nicht nach Florenz willst.«
Anne runzelte unwillig die Stirn, blies den Rauch ihrer Zigarette in die Luft und schnippte die Asche in einen Aschenbecher. Angela von Warder war nicht nur ihre beste Freundin, die sie in- und auswendig kannte, sie war eine erfolgreiche Diplompsychologin, die in eigener Praxis in Pöseldorf die Depressionen, Neurosen und Suchtkrankheiten der Angehörigen der Hamburger Upperclass therapierte. Sie war es gewohnt, die Handlungen und Gefühle ihrer Klienten auseinander zu nehmen und zu analysieren. Und manchmal machte sie nicht einmal vor ihren Freunden halt.
»Ist das denn so schwer zu verstehen?«, entgegnete Anne leider nicht ganz so gelassen, wie sie eigentlich wollte. »Ich habe im Archiv nachgesehen. Als wir in den siebziger Jahren als eines der ersten Frauenmagazine über Florenz berichtet haben, da waren wir innovativ. In den Achtzigern waren wir mit diesem Thema absolut hip, und in den Neunzigern lechzten alle nach den letzten Geheimtipps, die meine Vorgänger in dieser Region noch aufgetrieben haben. Doch mittlerweile ist der Trip in die Toskana so selbstverständlich wie Englisch als erste Fremdsprache an den Schulen. Ich wette mit dir, dass über vierzig Prozent unserer Leserinnen eine Ferienwohnung auf einem Weingut in der Toskana besitzen oder doch wenigstens regelmäßig mieten, und von den restlichen über neunzig Prozent bereits mindestens einmal in ihrem Leben in der Toskana gewesen sind.« Sie schob den Aschenbecher zur Seite,
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