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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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bändigen, ist schwer. Vom Sturz aber ist der Patient meistens benommen, was einen Vorteil bedeutet, da man mit ihm nicht zu ringen braucht. Er hatte denn auch Erfolg. Leider schlug Uzdy beim Fall mit dem Kopf an die schwere Lehne des Fauteuils. Keine gewaltige Angelegenheit, die Haut nur wurde aufgerissen. Er zog sich wohl auch eine kleine Gehirnerschütterung zu.
    Dieser Gedanke sei ihm, Maier, gleich gekommen, darum habe er ihn im Salon nicht wiederbeleben wollen. Es sei ohnehin besser, wenn er in einer anderen Umgebung zu sich komme, die Erinnerung an das Geschehene verblasse leichter auf diese Weise. Jetzt liege er still im Bett, man habe ihm einen kalten Umschlag auf den Kopf gelegt. Vorläufig dürfte er sich kaum rühren. Später – das sei etwas anderes. Später werde man ihn bewachen müssen.
    So lautete die schlimme Geschichte, die Adrienne am Nachmittag wiederholte, nachdem Absolon endlich angekommen war. Später hielten sie zu dritt einen Familienrat ab. Sie einigten sich darauf, dass abwechselnd immer jemand beim Kranken wachen sollte. Nur vier Personen kamen in Frage: Adrienne, Absolon, der Butler und die englische Nurse. Die Mutter gehörte nicht zum Kreis, man musste sie ausschließen; als nämlich Maier einmal Uzdy versuchsweise gesagt hatte, Gräfin Clémence habe sich nach seinem Befinden erkundigt, da blinkte in seinen Augen ein derartiger Hass und seine Fäuste ballten sich so, dass man gezwungen war, das Gespräch sofort in andere Bahnen zu lenken. Kein Zweifel, allein schon der Anblick der Mutter hätte einen Wutanfall ausgelöst.
    Entschieden wurde alles einzig von Absolon und Adrienne. Sie bestimmten auch, Dr. Kisch mit einem Telegramm herbeizurufen. Möge er entscheiden, was im Weiteren zu tun sei. Die alte Frau saß bei ihnen, blieb aber stumm. Ihre Miene wirkte wie aus Stein gemeißelt. Vielleicht hörte sie gar nicht, worüber die anderen sprachen.

    Drei schreckliche Tage gingen vorbei.
    Der sächsische Arzt war bereits angekommen. Er verzichtete auf einen Besuch beim Kranken, um ihn nicht zu erregen. Er würde sein Zimmer erst beim Abtransport betreten. Denn Wolf Hermann Kisch hatte diese Entscheidung gefällt: Man müsse Uzdy in einer geschlossenen Anstalt unterbringen. Es lag auf der Hand, dass er sich nicht unbewacht pflegen ließ. Dies wäre für jedermann und jederzeit lebensgefährlich.
    Am vierten Tag in der Frühe war wieder Adrienne an der Reihe. Es herrschte noch Dunkelheit. Ein kleines Öllicht flackerte auf dem Fenstersims. Uzdy schien auf den hoch aufgeschichteten Kissen zu schlafen. Die junge Frau saß in einem Lehnstuhl am Fußende des Betts. In der vollkommenen Stille meldete nur die Wanduhr knackend die Minuten. Die Zeit verging langsam, entsetzlich langsam. Langsamer als sonst. Denn heute um acht Uhr wird Dr. Kisch hereinkommen, um Uzdy mitzunehmen. Das Rotkreuz-Auto stand schon seit dem Abend bereit. Man hatte es im Hof vor dem Stall versteckt. Zwei Pfleger waren mitgekommen. Uzdy sollte nach Klausenburg gebracht werden, in die Nervenheilanstalt, die man in der Stadt wegen ihres Ziegeldachs »das grün gedeckte Haus« nannte. Dort eingesperrt würde er weiterleben. Und damit würde alles, alles zu Ende sein …
    Zu Ende war alles, wofür sie seit Jahren gekämpft, wonach sie sich gesehnt hatte. Zu Ende die Befreiung, von der sie geglaubt hatte, sie sei so nahe, zu Ende jeder Traum und jede Aussicht, das Glück zu erlangen, alles, wofür sich zu leben lohnte. Zu Ende die Gründe, die Bálint dazu veranlasst hatten, sich von seiner Heimstätte loszureißen, zu Ende das freie, aufrichtige Leben, die Mutterschaft, nach der ihre ganze Frauennatur schrie, zu Ende die Vorstellung von dem noch ungeborenen Sohn, der nun auch nie mehr auf die Welt kommen, vielmehr jetzt, in einer Stunde sterben würde … Ihr schien, ihre Liebe sterbe mit ihm, verwandle sich in endlosen Schmerz. Und sie würde dableiben, an den Mann gekettet, vor dem es ihr immer gegraut hatte, zurückgelassen in dieser Hölle, zusammen mit dem fremd gewordenen Kind und der halb wahnsinnigen Schwiegermutter.
    Sie hatte sich dies alles in den letzten Tagen schon hundertmal vergegenwärtigt. Doch mit solcher Macht war sie von den Gedanken noch nie erdrückt worden wie jetzt, da der Schicksalsschlag unabwendbar bevorstand. Unbewusst hatte sie trotz ihrer Hoffnungslosigkeit bis zum letzten Augenblick gehofft – was? nichts! – und doch auf irgendeine Weise, so wie die Ertrinkenden bis zuletzt auf ein rettendes

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