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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Gefühl der Schuld, das mir fast die Kraft nahm zu heucheln. Ihre Sorge, ihre Enttäuschung, ihr tiefer Schmerz, als ich ihr sagte, daß ich genötigt sei, Devonshire augenblicklich zu verlassen – ich werde es nie vergessen; und dazu noch mit einer solchen Zuversicht, einem solchen Vertrauen in mich! O Gott, was für ein hartherziger Schurke ich war!«
    Sie schwiegen beide ein paar Augenblicke. Elinor sprach zuerst.
    »Sagten Sie ihr, daß Sie bald zurückkommen würden?«
    »Ich weiß nicht mehr, was ich ihr sagte«, erwiderte er ungeduldig; »zweifellos weniger, als ich ihr nach allem, was gewesen war, schuldete, und aller Wahrscheinlichkeit nach viel mehr, als durch die Zukunft gerechtfertigt war. Ich kann nicht daran denken – es hat keinen Zweck. Dann kam Ihre liebe Mutter, um mich noch weiter zu quälen mit all ihrer Liebenswürdigkeit und ihrem Vertrauen. Dem Himmel sei Dank,
daß
es mich quälte! Ich war so unglücklich. Miss Dashwood, Sie können sich nicht vorstellen, welchen Trost es mir verschafft, auf mein eigenes Elend zurückzublicken. Ich habe einen solchen Groll auf mich für diese unsinnige, erbärmliche Torheit meines eigenen Herzens, daß mich all meine früheren Leiden darunter jetzt triumphieren und jubeln lassen. Nun, ich ging fort, verließ alles, was ich liebte, und ging zu denjenigen, denen ich bestenfalls nur gleichgültig war. Meine |352| Fahrt nach London – ich reiste mit meinen eigenen Pferden, es war eine so langweilige Fahrt – kein Mensch, mit dem ich sprechen konnte – meine eigenen Gedanken so heiter – wenn ich nach vorn blickte, war alles so verlockend – wenn ich zurückblickte nach Barton, das Bild so wohltuend! Oh, es war eine selige Fahrt!«
    Er hielt inne.
    »Nun, Sir«, sagte Elinor, die, obgleich sie ihn bemitleidete, ungeduldig darauf wartete, daß er ging, »ist das nun alles?«
    »Alles! – Nein, haben Sie vergessen, was in der Stadt geschah? Dieser schändliche Brief! Hat sie Ihnen den Brief gezeigt?«
    »Ja, ich habe alle Briefe gesehen, die Sie und Marianne geschrieben haben.«
    »Was ich fühlte, als mich der erste erreichte (was sofort geschah, denn ich war die ganze Zeit in der Stadt), ist, wie man sagt, nicht mit Worten wiederzugeben; einfacher ausgedrückt – vielleicht zu einfach, um irgendwelche Gefühle zu wecken   –, ich war unendlich schmerzlich berührt. Jede Zeile, jedes Wort war – in der abgedroschenen Redensart, die sich die liebe Schreiberin, wäre sie hier, verbeten hätte, ein Dolchstoß in meinem Herzen   – Marianne in der Stadt zu wissen war, um in der gleichen Sprache zu bleiben, wie ein Donnerschlag. Donnerschläge und Dolchstöße! Welche Vorwürfe sie mir gemacht hätte! Ihr Geschmack, ihre Ansichten – ich glaube, ich kenne sie besser als meine eigenen, und ganz gewiß sind sie mir teurer.«
    Elinors Herz, das viele wechselnde Gefühle während dieses außergewöhnlichen Gesprächs durchgemacht hatte, war nun wieder besänftigt; doch sie sah es als ihre Pflicht an, Gedanken wie die letzten bei ihm zu zügeln.
    »Das ist nicht recht, Willoughby. Denken Sie daran, daß Sie verheiratet sind. Berichten Sie mir nur, was Sie mit Ihrem Gewissen vereinbaren können.«
    »Mariannes Brief ließ – da er mir versicherte, daß ich ihr noch immer so teuer war wie in früheren Tagen, daß ihre eigenen Gefühle trotz der vielen, vielen Wochen, die wir |353| getrennt gewesen waren, noch ebenso beständig und sie noch immer so voller Vertrauen in die meinen war – alle meine Gewissensbisse wiederaufleben. Ich sage
aufleben
, denn die Zeit und London, Geschäfte und Zerstreuung hatten sie in gewissem Maße zum Schweigen gebracht, und ich war zu einem richtigen abgebrühten Schurken geworden, glaubte mich gleichgültig ihr gegenüber und beliebte zu glauben, daß auch sie mir gegenüber gleichgültig geworden sein mußte; ich redete mir ein, daß unsere frühere gegenseitige Zuneigung eine bloße unbedeutende, oberflächliche Affäre gewesen sei, tat sie mit einem Achselzucken ab als Beweis, daß es so sei, brachte jeden Vorwurf zum Schweigen, überwand alle Skrupel, indem ich ab und zu heimlich sagte: ›Ich werde aufrichtig froh sein zu hören, daß sie gut verheiratet ist.‹ Aber dieser Brief sorgte dafür, daß ich mich besser kennenlernte. Ich fühlte, daß sie mir unendlich viel teurer war als jede andere Frau auf der Welt und daß ich sie ganz schändlich behandelte. Doch zu der Zeit war zwischen Miss Grey und mir gerade alles

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