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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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geregelt. Sich daraus zurückzuziehen war unmöglich. Alles, was ich zu tun hatte, war, Sie beide zu meiden. Ich schickte Marianne keine Antwort, in der Absicht, mich davor zu bewahren, noch weiter von ihr beachtet zu werden; und eine Zeitlang war ich sogar entschlossen, nicht in Berkeley Street vorzusprechen. Doch schließlich hielt ich es für klüger, statt dessen das Verhalten eines kühlen, gewöhnlichen Bekannten vorzutäuschen; ich beobachtete Sie eines Morgens, bis ich sicher war, daß alle aus dem Haus waren, und hinterließ meine Karte.«
    »Sie haben uns beobachtet, als wir aus dem Haus gingen!«
    »So ist es. Sie wären überrascht, wenn Sie wüßten, wie oft ich Sie beobachtet habe, wie oft ich drauf und dran war, mit Ihnen zusammenzutreffen. Ich bin in viele Läden hineingegangen, um nicht von Ihnen gesehen zu werden, während Ihre Kutsche vorbeifuhr. Da ich in Bond Street logierte, verging kaum ein Tag, an dem ich nicht die eine oder andere von Ihnen flüchtig zu sehen bekam; und nichts als meine beständige große Achtsamkeit, mein zu der Zeit unweigerlich vorherrschender |354| Wunsch, nicht gesehen zu werden, hätte uns so lange trennen können. Ich mied die Middletons, soweit es ging, wie auch jeden anderen, der sich möglicherweise als ein gemeinsamer Bekannter hätte herausstellen können. Da ich nicht wußte, daß die Middletons in der Stadt waren, stieß ich jedoch – es war wohl am ersten Tag seiner Ankunft – auf Sir John, und am Tag danach meldete ich mich dann bei Mrs.   Jennings. Er lud mich zu einer Gesellschaft, einem Tanz, am Abend in seinem Haus ein. Auch wenn er mir, als Anreiz, nicht selbst erzählt hätte, daß Sie und Ihre Schwester dortsein würden, hätte ich dies auch ohnehin als viel zu gewiß angesehen, um mich in seine Nähe zu wagen. Der nächste Morgen brachte mir ein weiteres kurzes Billett von Marianne – noch immer liebevoll, offen, arglos, vertrauensvoll – all das, was mein Verhalten äußerst abscheulich machen mußte. Ich konnte es nicht beantworten. Ich versuchte es, aber ich konnte nicht
einen
Satz zustande bringen. Aber ich dachte an sie, glaube ich, den ganzen Tag, in jedem Augenblick. Wenn
Sie
mich bedauern können, Miss Dashwood, dann bedauern Sie die Lage, in der ich mich zu der Zeit befand. In meinem Herzen und in meinen Gedanken ganz allein bei Ihrer Schwester, war ich gezwungen, den glücklichen Liebhaber einer anderen Frau zu spielen! Diese drei oder vier Wochen waren die schlimmsten für mich. Nun, schließlich, wie ich Ihnen nicht zu erzählen brauche, war dafür gesorgt, daß wir uns treffen mußten; und was für eine großartige Figur ich da machte! Was für ein qualvoller Abend das war! Auf der einen Seite Marianne, schön wie ein Engel, die mich in einem so liebevollen Ton ›Willoughby‹ rief! O mein Gott! – Die ihre Hand nach mir ausstreckte, mich – mit diesen bezaubernden Augen, die mit so sprechender Besorgnis auf mich gerichtet waren – um eine Erklärung bat! Und auf der anderen Seite Sophia, eifersüchtig wie der Teufel, die alles andere   ... Nun, es hat nichts zu sagen, das ist nun vorbei. Was für ein Abend! Ich lief, sobald ich konnte, fort von Ihnen allen, doch nicht, bevor ich nicht noch einmal Mariannes liebliches Gesicht, bleich wie der Tod, gesehen hatte. Das war mein allerletztes |355| Bild von ihr, so habe ich sie zum letzten Mal gesehen. Es war ein entsetzlicher Anblick. Doch wenn ich heute an sie als wirklich Sterbende dachte, war die Vorstellung, daß ich genau wußte, wie sie denen erscheinen würde, die sie zum letzten Mal in diesem Leben sehen würden, eine Art Trost für mich. Ich sah sie vor mir, ständig vor mir während meiner Reise – mit dem gleichen Aussehen und dem gleichen bleichen Antlitz.«
    Eine kurze, nachdenkliche Pause auf beiden Seiten folgte darauf. Willoughby, der sich als erster besann, beendete sie mit den Worten: »Nun, ich will mich beeilen und wieder gehen. Ihrer Schwester geht es doch gewiß besser, sie ist doch gewiß außer Gefahr?«
    »Wir sind davon überzeugt.«
    »Und Ihre arme Mutter – die Marianne so abgöttisch liebt!«
    »Aber der Brief, Mr.   Willoughby, der Brief von
Ihnen
; haben Sie dazu etwas zu sagen?«
    »Ja, ja,
dazu
ganz besonders. Wie Sie wissen, schrieb mir Ihre Schwester gleich am nächsten Morgen erneut. Sie haben ja gelesen, was sie schrieb. Ich frühstückte gerade bei den Ellisons, und ihr Brief wurde mir, zusammen mit einigen anderen, von meiner Wohnung

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