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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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gewinnen, ohne daran zu denken, sie zu erwidern. Doch eines mag zu meinen Gunsten gesagt werden, während ich in dieser schrecklichen selbstsüchtigen Eitelkeit befangen war – ich kannte nicht das Ausmaß des Unrechts, das ich zufügte, denn
damals
wußte ich nicht, was es heißt zu lieben. Aber habe ich das jemals gewußt? Nun, das mag bezweifelt werden; denn hätte ich tatsächlich geliebt, hätte ich da meine Gefühle der Eitelkeit, der Habsucht opfern können? – Oder, was noch schlimmer ist, die ihren opfern können? – Aber ich habe es getan. Um einer relativen Armut zu entgehen, die ihre Liebe und ihre Gesellschaft doch all ihrer Schrecken beraubt hätte, habe ich, da ich mir Wohlstand verschafft habe, alles verloren, das ihn zu einem Segen hätte machen können.«
    »Sie haben also«, sagte Elinor, ein wenig sanfter gestimmt, »einmal geglaubt, daß Sie ihr zugetan seien.«
    »Solchen Reizen, solcher Zärtlichkeit zu widerstehen – gibt es denn einen Mann auf Erden, der das fertiggebracht hätte! Ja, es wurde mir, ganz unmerklich, immer mehr bewußt, daß ich sie aufrichtig liebte; und meine glücklichsten Stunden im Leben waren diejenigen, die ich mit ihr in dem Gefühl verbrachte, daß meine Absichten vollkommen ehrenhaft und meine Gefühle untadelig waren. Doch selbst dann, als ich fest entschlossen war, um sie zu werben, gestattete ich mir in höchst unehrenhafter Weise, den Augenblick, dies in die Tat umzusetzen, von Tag zu Tag aufzuschieben – da ich ungern eine Verlobung eingehen wollte, solange ich mich in so großen finanziellen Schwierigkeiten befand. Ich will hier keine Begründung geben – und ich will auch nicht innehalten, damit Sie sich über mein absurdes, und schlimmer noch als absurdes Verhalten auslassen können   –, daß ich Bedenken |348| hatte, mich durch ein Versprechen zu binden, wo meine Ehre es mir bereits gebot. Das Geschehene hat bewiesen, daß ich ein Narr war, der sich wissentlich ins Unglück stürzte, daß ich mit großer Umsicht für eine mögliche Gelegenheit sorgte, mich für immer verächtlich und elend zu machen. Schließlich war meine Entscheidung getroffen, und ich hatte beschlossen, sobald ich allein mit ihr sprechen konnte, meine Aufmerksamkeiten zu rechtfertigen, die ich ihr so fortgesetzt erwiesen hatte, und sie offen einer Liebe zu versichern, die zu zeigen ich mich schon so sehr bemüht hatte. Doch inzwischen – innerhalb der ganz wenigen Stunden, die noch vergehen sollten, ehe ich eine Gelegenheit haben würde, mit ihr allein zu sprechen – ergab sich ein Umstand – ein unglücklicher Umstand, der meine ganze Entschlossenheit zunichte machen sollte, und damit mein ganzes Glück. Es wurde etwas entdeckt«, er zögerte und senkte seinen Blick. »Mrs.   Smith war irgendwie von einer Affäre, einer Beziehung informiert worden – ich vermute, von einer entfernten Verwandten, die daran interessiert war, daß Mrs.   Smith mir ihre Gunst entzog   ..., aber ich brauche das wohl nicht weiter auszuführen«, fügte er, rot werdend und mit einem fragenden Blick, hinzu; »Ihre besondere Vertrautheit   ... Sie haben die ganze Geschichte wahrscheinlich schon längst gehört.«
    »Ja«, erwiderte Elinor, gleichfalls rot werdend, und wappnete ihr Herz erneut gegen jedes Mitleid für ihn, »ich habe alles gehört. Und wie Sie irgendeinen Teil Ihrer Schuld an dieser schrecklichen Geschichte mit einer Erklärung wegreden wollen, übersteigt, wie ich zugeben muß, mein Begriffsvermögen.«
    »Bedenken Sie«, rief Willoughby, »wer Ihnen das berichtet hat. Konnte er denn unbefangen sein? Ich gebe zu, daß die Lage und der Ruf des Mädchens von mir hätten respektiert werden sollen. Ich will mich nicht rechtfertigen, aber gleichzeitig kann ich Sie nicht annehmen lassen, daß ich nichts vorzubringen hätte – daß
sie
sich, weil ihr Unrecht geschehen ist, untadelig verhalten hat, und weil
ich
ein zügelloser Mensch bin,
sie
eine Heilige sein muß. Wenn die Heftigkeit ihrer Leidenschaft |349| , ihr schwacher Intellekt   ..., aber ich will mich nicht verteidigen. Ihre Liebe zu mir hätte Besseres verdient, und ich denke oft mit schweren Selbstvorwürfen an die Zärtlichkeit, die für eine kurze Zeit jegliche Erwiderung hervorzurufen vermochte. Ich wünschte – ich wünschte von Herzen, es wäre niemals geschehen. Aber ich habe mehr verletzt als nur sie; ich habe ein Mädchen verletzt, dessen Liebe zu mir (darf ich das sagen?) kaum weniger leidenschaftlich war als die

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