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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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gebracht. Es traf sich, daß Sophias Blick darauf fiel, bevor ich ihn bemerkte; und seine Größe, das schöne Papier, die Handschrift, all das ließ sie sofort mißtrauisch werden. Es war ihr schon vorher ein unbestimmtes Gerücht von meiner Liebe zu einer jungen Dame in Devonshire zu Ohren gekommen; und was sich am Abend davor vor ihren Augen abspielte, hatte ihr gezeigt, wer diese junge Dame war, und das hatte sie noch eifersüchtiger gemacht als zuvor. Mit einem Anschein von Schelmerei, die so entzückend ist bei einer Frau, die man liebt, öffnete sie sofort den Brief und las ihn. Sie bekam den richtigen Lohn für ihre Unverschämtheit. Sie las, was sie unglücklich machte. Ihr Unglücklichsein hätte ich noch ertragen können, aber ihre Wut, ihre Bosheit – unter allen Umständen mußte sie durch Zugeständnisse beschwichtigt werden. Kurz und gut, was halten Sie von |356| dem Briefstil meiner Frau? – Zartfühlend, sanft, echt weiblich – nicht wahr?«
    »Ihrer Frau! Der Brief trug doch
Ihre
Handschrift.«
    »Ja, aber ich hatte nur die Ehre, Sätze sklavisch abzuschreiben, denen ich mich schämte meine Unterschrift zu geben. Das Original stammte ganz und gar von ihr, es waren ihre eigenen trefflichen Gedanken und ihre eigene sanfte Ausdrucksweise. Doch was konnte ich tun? – Wir waren verlobt, alles war in Vorbereitung, der Tag beinahe festgelegt – aber ich rede wie ein Narr. Vorbereitung! Tag! Um ehrlich zu sein – ihr Geld war notwendig für mich, und in einer Lage wie der meinen mußte alles getan werden, um einen Bruch zu verhindern. Und schließlich, was bedeutete es schon für meinen Charakter in der Meinung von Marianne und ihrer Angehörigen, in welcher Sprache meine Antwort abgefaßt war? Sie hatte nur einen Zweck zu erfüllen. Ich hatte mich für einen Schurken zu erklären, und ob ich das mit einer Verbeugung oder mit Großtuerei tat, war unwichtig. ›Ich bin in ihrer Meinung für immer ruiniert‹, sagte ich mir; ›ich bin für immer von ihrer Gesellschaft ausgeschlossen, sie halten mich bereits für einen gewissenlosen Burschen, dieser Brief wird sie lediglich dazu bringen, mich nun für einen wirklichen Schurken zu halten.‹ So suchte ich mich zu überzeugen, als ich in einer Art verzweifelter Unbekümmertheit die Worte meiner Frau abschrieb und mich von Mariannes letzten Andenken trennte. Ihre drei Billetts – unglücklicherweise befanden sie sich alle in meiner Brieftasche, sonst hätte ich ihr Vorhandensein geleugnet und sie für immer aufbewahrt – mußte ich hergeben und konnte sie nicht einmal mehr küssen. Und die Haarlocke – auch die hatte ich immer in der gleichen Brieftasche bei mir getragen – wurde nun von Madame mit der größten schmeichlerischen Boshaftigkeit aufgespürt, – diese teure Haarlocke – alles, jedes Andenken wurde mir entrissen.«
    »Das ist sehr unrecht von Ihnen, Mr.   Willoughby, sehr tadelnswert«, sagte Elinor, wobei ihre Stimme unwillkürlich ihre mitleidige Regung verriet; »Sie sollten so nicht sprechen, |357| weder von Mrs.   Willoughby noch von meiner Schwester. Sie haben Ihre Wahl getroffen. Sie wurde Ihnen nicht aufgezwungen. Ihre Gattin hat ein Recht auf Ihre Höflichkeit, zumindest auf Ihren Respekt. Sie muß Ihnen doch zugetan sein, sonst hätte sie Sie nicht geheiratet. Sie unfreundlich zu behandeln, verächtlich von ihr zu sprechen ist keine Wiedergutmachung für Marianne, auch kann ich nicht annehmen, daß es Ihr Gewissen erleichtert.«
    »Sprechen Sie mir nicht von meiner Frau«, sagte er mit einem schweren Seufzer. »Sie verdient Ihr Mitgefühl nicht. Sie wußte, ich liebte sie nicht, als wir heirateten. Nun, wir heirateten und kamen nach Combe Magna, um ein glückliches Leben zu führen, und danach kehrten wir in die Stadt zurück, um ein flottes Leben zu führen. Bemitleiden Sie mich nun, Miss Dashwood? Oder habe ich das alles vergeblich erzählt? Bin ich nun – und sei es nur ein kleines bißchen – weniger schuldig in Ihren Augen, als ich es vorher war? Meine Absichten waren nicht immer schlecht. Habe ich wenigstens für einen Teil meiner Schuld befriedigende Erklärungen geben können?«
    »Ja, Sie haben gewiß etwas – ein wenig – davon ausgeräumt. Sie haben sich, im ganzen gesehen, weniger tadelnswert erwiesen, als ich Sie glaubte. Sie haben bewiesen, daß Ihr Herz weniger schlecht – ja, viel weniger schlecht ist. Aber ich weiß kaum   ... das Leid, das Sie zugefügt haben   ... ich weiß kaum, was es hätte

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