Verstand und Gefühl
bei Ihnen vorbeikommen.«
|385| »Aber hat sie dir erzählt, daß sie verheiratet ist, Thomas?«
»Ja, Ma’am, sie lächelte und sagte, sie hätte ihren Namen gewechselt, seit sie in dieser Gegend ist. Sie war immer eine sehr leutselige und offenherzige junge Dame, und sehr höflich. Da nahm ich mir die Freiheit, ihr Glück zu wünschen.«
»War Mr. Ferrars mit ihr in der Kutsche?«
»Ja, Ma’am, ich habe ihn nur nach hinten gelehnt darin sitzen sehn, er hat nicht hochgeblickt – aber er war ja nie ein Herr, der viel geredet hat.«
Elinors Herz konnte sich leicht erklären, warum er sich nicht vorgebeugt hatte; und Mrs. Dashwood fand vermutlich die gleiche Erklärung.
»War denn niemand anders in der Kutsche?«
»Nein, Ma’am, nur die beiden.«
»Weißt du, woher sie kamen?«
»Sie kamen direkt aus der Stadt, wie mir Miss Lucy – Mrs. Ferrars – erzählt hat.«
»Und sie sind weiter in Richtung Westen gefahren?«
»Ja, Ma’am, aber sie bleiben nicht lange. Sie werden bald zurück sein, und dann wollen sie bestimmt hier vorbeikommen.«
Mrs. Dashwood sah jetzt ihre Tochter an; aber Elinor war nicht so töricht, die beiden in Barton zu erwarten. Sie erkannte die ganze Lucy in dieser Botschaft und war völlig sicher, daß Edward niemals in ihre Nähe kommen würde. Sie bemerkte leise zu ihrer Mutter, daß sie wahrscheinlich auf dem Wege zu Mr. Pratt in der Nähe von Plymouth gewesen waren.
Thomas schien mit seinen Mitteilungen am Ende zu sein. Doch Elinor machte den Eindruck, als wollte sie noch mehr hören.
»Hast du sie fortfahren sehen, bevor du weggingst?«
»Nein, Ma’am, die Pferde kamen grade erst raus, aber ich konnte nicht länger bleiben; ich hatte Angst, mich zu verspäten.«
»Hat Mrs. Ferrars gut ausgesehen?«
»Ja, Ma’am, sie sagte mir, wie gut es ihr geht; ich fand ja |386| schon immer, daß sie eine sehr hübsche junge Dame ist – und sie schien mächtig zufrieden.«
Mrs. Dashwood fielen nun keine weiteren Fragen mehr ein, und Thomas und das Tischtuch, nun gleichermaßen überflüssig, wurden bald darauf entlassen. Marianne hatte bereits Bescheid sagen lassen, daß sie nichts mehr essen würde; Mrs. Dashwood und Elinor hatten ebenfalls keinen Appetit mehr; und Margaret mochte sich glücklich schätzen, daß sie bei so viel Unruhe, wie ihre beiden Schwestern sie in letzter Zeit erlebt hatten, und so viel Ursache, wie sie oft gehabt hatten, ihre Mahlzeiten zu vernachlässigen, bisher nie genötigt gewesen war, auf ihr Dinner zu verzichten.
Als der Nachtisch und der Wein serviert waren und Mrs. Dashwood und Elinor allein zurückblieben, verharrten sie beide noch lange in gleichermaßen stiller Nachdenklichkeit. Mrs. Dashwood fürchtete sich, irgendeine Bemerkung zu machen, und wagte auch nicht, ihr Trost zuzusprechen. Sie erkannte nun, daß es ein Irrtum gewesen war, sich auf Elinors eigene Darstellung ihrer Gefühle zu verlassen; und sie schloß zu Recht, daß Elinor zu der Zeit alles absichtlich abgeschwächt hatte, um sie davor zu bewahren, noch unglücklicher zu sein und noch mehr zu leiden, als es Mariannes wegen ohnehin schon der Fall war. Sie erkannte, daß sie sich durch die wohlbedachte, rücksichtsvolle Aufmerksamkeit ihrer Tochter hatte täuschen lassen und daß sie geglaubt hatte, deren Liebe, die sie einst so gut verstanden hatte, sei in Wirklichkeit viel weniger tief gewesen, als sie damals geglaubt hatte und als es sich nun herausstellte. Sie fürchtete, daß sie aufgrund dieser Überzeugung ungerecht, unaufmerksam, ja, beinahe lieblos zu ihrer Elinor gewesen war – daß Mariannes Kummer, da er mehr bekundet wurde und ihr mehr vor Augen stand, zu sehr ihr Mitgefühl in Anspruch genommen und sie dazu verleitet hatte zu übersehen, daß sie in Elinor eine Tochter hatte, die beinahe ebensoviel litt, gewiß aber mit größerer innerer Stärke und ohne viel davon nach außen hin zu zeigen.
|387| Kapitel 48
Elinor erkannte nun sehr wohl den Unterschied zwischen der Erwartung eines unerfreulichen Ereignisses – wenn der Verstand auch sagt, daß man ganz gewiß damit rechnen muß – und der Gewißheit, daß es eingetroffen ist. Sie erkannte nun, daß sie unwillkürlich, solange Edward unverheiratet war, stets der Hoffnung Raum gegeben hatte, daß doch noch etwas geschehen würde, was ihn daran hinderte, Lucy zu heiraten; daß irgend etwas – sei es ein eigener Entschluß, eine Vermittlung von Freunden oder eine annehmbare Gelegenheit
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