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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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für ihre Versorgung   –, noch allen zum Glück verhelfen würde. Doch nun war er verheiratet, und sie verurteilte ihr Herz für diese heimliche, unbegründete Hoffnung, die den Schmerz über diese Nachricht so sehr vergrößert hatte.
    Daß er so bald heiraten würde, noch bevor er (wie sie meinte) ordiniert und folglich auch bevor er im Besitz der Pfründe sein konnte, überraschte sie anfangs ein wenig. Aber bald sah sie, wie wahrscheinlich es war, daß Lucy in ihrem Bestreben, versorgt zu sein, und in ihrer Eile, sich ihn zu sichern, alles in Kauf nehmen würde, nur nicht das Risiko einer Verzögerung. Sie hatten geheiratet, in London, und eilten nun hinunter zu ihrem Onkel. Was hatte Edward wohl empfunden, als er nur vier Meilen von Barton entfernt war und als er den Diener ihrer Mutter sah und Lucys Botschaft hörte!
    Sie würden sich, wie sie annahm, bald in Delaford niedergelassen haben – in Delaford, jenem Ort, der aus so vielen Gründen Gegenstand ihres Interesses war – den sie gern kennenlernen und doch meiden wollte. Sie sah die beiden augenblicklich in ihrem Pfarrhaus, sah in Lucy die aktive, haushaltende |388| Verwalterin, die den Wunsch nach einem eleganten Auftreten mit der äußersten Sparsamkeit verband und die sich schämen würde, auch nur der Hälfte ihrer Sparmaßnahmen verdächtigt zu werden; die mit jedem Gedanken ihre eigenen Interessen verfolgte und um die Gunst Colonel Brandons, Mrs.   Jennings und aller reichen Freunde buhlte. Sie wußte nicht, wie sie Edward sehen sollte, und auch nicht, wie sie ihn zu sehen wünschte – glücklich oder unglücklich – nichts war ihr recht; sie verbannte jedes Bild von ihm aus ihren Gedanken.
    Elinor bildete sich ein, daß ihnen jemand aus ihrer Bekanntschaft in London schreiben würde, um das Ereignis zu melden und weitere Einzelheiten zu berichten; aber Tag für Tag verging, und kein Brief, keine Kunde kam. Obgleich sie nicht recht wußte, ob irgend jemand dafür zu tadeln war, hatte sie an jedem abwesenden Freund etwas auszusetzen. Sie waren alle gedankenlos und gleichgültig.
    »Wann schreibst du denn an Colonel Brandon, Mama?« war eine Frage, die ihrer Ungeduld entsprang, etwas zu haben, das ihre Gedanken beschäftigen würde.
    »Ich habe letzte Woche an ihn geschrieben, mein Kind, und ich hoffe eher, ihn selbst zu sehen, als wieder von ihm zu hören. Ich habe ihn ernsthaft gedrängt, zu uns zu kommen, und ich wäre nicht überrascht, wenn ich ihn heute oder morgen oder an einem der nächsten Tage hier hereinkommen sähe.«
    Das war doch schon etwas – etwas, auf das man seine Erwartungen richten konnte. Colonel Brandon
mußte
etwas mitzuteilen haben.
    Kaum war sie zu diesem Schluß gekommen, als die Gestalt eines Mannes zu Pferde ihren Blick zum Fenster hin lenkte. Er hielt an ihrem Tor. Es war ein Herr, es war Colonel Brandon selbst. Nun würde sie mehr hören – und sie zitterte vor Erwartung. Aber es war nicht Colonel Brandon – weder sein Aussehen noch seine Größe. Wäre es möglich, hätte sie gesagt, es müsse Edward sein. Sie sah wieder hin. Er war gerade vom Pferd gestiegen – sie konnte sich nicht irren – es
war
Edward |389| ! Sie verließ das Fenster und setzte sich. »Er kommt extra von Mr.   Pratt, um uns zu besuchen. Ich werde
ganz ruhig
sein; ich
werde
mich beherrschen.«
    Sogleich bemerkte sie, daß die anderen ebenso ihren Irrtum erkannten. Sie sah, wie ihre Mutter und Marianne die Farbe wechselten, bemerkte, wie sie zu ihr hinsahen und leise ein paar Worte miteinander sprachen. Sie hätte alles darum gegeben, sprechen und ihnen andeuten zu können, daß sie hoffte, in ihrem Verhalten ihm gegenüber würde keine kalte Förmlichkeit, keine Kränkung erkennbar sein; aber sie brachte kein Wort über die Lippen und war genötigt, alles ihrem eigenen Ermessen zu überlassen.
    Kein Wort wurde laut. Sie warteten alle schweigend auf das Erscheinen ihres Besuchers. Man hörte seine Schritte auf dem Kiesweg; einen Augenblick später war er im Hausflur, und im nächsten stand er vor ihnen.
    Seine Miene war nicht besonders glücklich, als er das Zimmer betrat, das fand sogar Elinor. Sie war vor Aufregung weiß im Gesicht, und er machte den Eindruck, als fürchte er sich vor dem Empfang und als sei er sich bewußt, daß er keinen freundlichen verdiene. Doch Mrs.   Dashwood, die annahm, daß es den Wünschen ihrer Tochter entsprach, von denen sie sich in ihrer Herzenswärme nun in allem leiten lassen wollte, ging ihm mit einem

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