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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Gewissen, ihr empfindsames Gewissen hätte all das gefühlt, was das Gewissen ihres Gatten hätte fühlen müssen.«
    Marianne seufzte und sagte noch einmal: »Ich wünsche mir nichts anderes.«
    »Du siehst die Sache genauso«, sagte Elinor, »wie gesunder Menschenverstand und ein gutes Urteilsvermögen sie sehen müssen; und ich glaube gewiß, daß du ebenso wie ich nicht nur darin, sondern auch in vielen anderen Umständen genug Gründe siehst, die dich überzeugen, daß deine Heirat mit ihm dir viele unumgängliche Sorgen und Enttäuschungen |381| gebracht hätte, und dabei hätte dir seine, möglicherweise wankelmütige, Liebe nur wenig geholfen. Hättest du ihn geheiratet, wärst du immer arm gewesen. Seine Verschwendungssucht hat selbst er zugegeben, und sein ganzes Verhalten zeigt, daß Selbstverleugnung ein Wort ist, das er kaum kennt. Seine Ansprüche und deine Unerfahrenheit, bei einem kleinen, sehr kleinen Einkommen, hätten zu Sorgen geführt, die dir darum nicht weniger Kummer bereitet hätten, weil sie dir vorher vollkommen fremd und unvorstellbar gewesen waren. Dein Gefühl für Ehre und Rechtschaffenheit hätte dich, wenn du dir deiner Lage bewußt geworden wärst, dazu gebracht, überall zu sparen, wo es dir nur möglich erschienen wäre; und vielleicht, solange deine Sparsamkeit nur dein eigenes Wohlbefinden eingeschränkt hätte, hätte er es dir auch überlassen, sie zu üben; aber wie wenig hättest du allein selbst mit den äußersten Mitteln tun können, um den Ruin aufzuhalten, der schon vor deiner Heirat begonnen hatte! Und hättest du darüber hinaus versucht, wie vernünftig es auch immer gewesen wäre, seine Vergnügungen zu beschränken, wäre da nicht zu fürchten gewesen, daß du, anstatt ihn bei seiner so selbstsüchtigen Einstellung zu bewegen, dem zuzustimmen, deinen eigenen Einfluß auf sein Herz verringert hättest und er die Verbindung bereut hätte, die ihn in solche Schwierigkeiten gebracht hatte?«
    Mariannes Lippen zitterten, und sie wiederholte das Wort ›selbstsüchtig?‹ in einem Ton, der besagte: ›Hältst du ihn wirklich für selbstsüchtig?‹
    »Sein ganzes Verhalten«, erwiderte Elinor, »vom Anfang bis zum Ende dieser Sache war auf Selbstsucht gegründet. Es war Selbstsucht, die ihn zuerst mit deiner Zuneigung hat spielen lassen   –, die ihn später, als seine eigene dabei beteiligt war, veranlaßte, deren Bekenntnis zu verzögern, und die ihn schließlich aus Barton forttrieb. Sein eigenes Vergnügen und seine eigene Bequemlichkeit waren in allem sein Hauptanliegen.«
    »Das ist sehr wahr. Um
mein
Glück ging es ihm niemals.«
    »Jetzt«, fuhr Elinor fort, »bereut er, was er getan hat. Und |382| warum bereut er es? Weil er feststellt, daß es ihm nichts Gutes gebracht hat. Es hat ihn nicht glücklich gemacht. Er hat jetzt keine Geldsorgen – von daher geht es ihm nicht schlecht, und er denkt jetzt nur daran, daß er eine Frau mit einem weniger liebenswürdigen Wesen geheiratet hat als dem deinen. Aber folgt denn daraus, daß er glücklich gewesen wäre, wenn er
dich
geheiratet hätte? Die Unannehmlichkeiten wären von anderer Art gewesen. Er hätte dann unter geldlichen Sorgen gelitten, die er nun, da sie beseitigt sind, als völlig unwichtig ansieht. Er hätte eine Frau gehabt, über deren Charakter er sich nicht hätte beklagen können, doch er hätte nie seine Bedürfnisse befriedigen können – er wäre immer arm gewesen; und er hätte wahrscheinlich bald gelernt, die zahllosen Annehmlichkeiten eines schuldenfreien Besitzes und eines guten Einkommens als weit wichtiger einzustufen, selbst gegenüber häuslichem Glück, als die bloßen Launen einer Ehefrau.«
    »Daran habe ich keinen Zweifel«, sagte Marianne; »und ich habe nichts zu bedauern – nichts außer meiner eigenen Torheit.«
    »Sage lieber, außer der Unklugheit deiner Mutter, mein Kind«, sagte Mrs.   Dashwood; »
sie
muß die Verantwortung tragen.«
    Marianne wollte sie nicht weitersprechen lassen; und Elinor, zufrieden, daß beide ihre Fehler einsahen, wollte jede Erörterung der Vergangenheit vermeiden, die das Gemüt ihrer Schwester wieder aus dem Gleichgewicht bringen könnte; sie kam deshalb wieder auf das erste Thema zurück und fuhr sogleich fort: »Eines kann man, denke ich, aus der ganzen Sache eindeutig entnehmen – daß Willoughbys sämtliche Schwierigkeiten aus seinem ersten moralischen Verstoß erwachsen sind – seinem Verhalten gegenüber Eliza Williams. Dieses Vergehen ist

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