Verstand und Gefühl
den Rücken heruntergefallen; und er hat es geküßt und in ein Stück weißes Papier gefaltet und in seine Brieftasche gelegt.«
Angaben von solcher Beweiskraft mußte Elinor ja Glauben schenken, und sie war auch durchaus geneigt dazu, denn die Umstände stimmten vollkommen mit dem überein, was sie selbst gehört und gesehen hatte.
Margarets Scharfsinn zeigte sich nicht immer in so befriedigender Weise für ihre Schwester. Als Mrs. Jennings sie eines Tages in Barton Park bestürmte, ihr doch den Namen des jungen Mannes zu nennen, dem Elinors besondere Vorliebe galt, was schon seit langem so sehr ihre Neugierde geweckt hatte, antwortete Margaret mit einem Blick auf ihre Schwester: »Das darf ich doch nicht sagen, stimmt’s, Elinor?«
Das brachte natürlich alle zum Lachen; und Elinor versuchte ebenfalls zu lachen. Aber es gelang ihr nur schwer. Sie war überzeugt, daß Margaret an eine bestimmte Person dachte, und es wäre ihr unerträglich, wenn Mrs. Jennings deren Namen zu ständigen Witzeleien benutzte.
Marianne fühlte aufrichtig mit ihr, doch schadete es der Sache mehr, als es nützte, als sie rot wurde und ärgerlich zu Margaret sagte: »Was deine Vermutungen auch sein mögen, vergiß nicht, daß du kein Recht hast, sie auszusprechen.«
»Ich habe überhaupt nichts vermutet«, erwiderte Margaret; »du selber hast es mir doch erzählt.«
Das erhöhte nur noch das Vergnügen der Gesellschaft, und Margaret wurde eifrig gedrängt, noch mehr zu sagen.
»Ach, bitte, Miss Margaret, lassen Sie uns alles wissen«, sagte Mrs. Jennings. »Wie ist der Name dieses Herrn?«
|71| »Ich darf es nicht sagen, Ma’am. Aber ich kenne seinen Namen sehr gut; und ich weiß auch, wo er ist.«
»Ja, ja, wir können uns denken, wo er ist; bestimmt in seinem eigenen Haus in Norland. Ich könnte mir denken, daß es der Vikar der Gemeinde dort ist.«
»Nein, das ist er nicht. Er hat überhaupt keinen Beruf.«
»Margaret«, sagte Marianne sehr heftig, »du weißt, daß alles deine eigene Erfindung ist und daß es eine solche Person gar nicht gibt.«
»Na, dann muß er neuerdings gestorben sein, Marianne, ich bin nämlich sicher, daß es einmal einen solchen Mann gab, und sein Name beginnt mit einem F.«
Überaus dankbar war Elinor Lady Middleton, weil diese in dem Moment bemerkte, daß ›es sehr stark regne‹ – wenn sie auch glaubte, daß die Unterbrechung ihren Grund weniger in irgendwelcher Aufmerksamkeit ihr gegenüber hatte als in der großen Abneigung Ihrer Ladyschaft gegen solche plumpen Neckereien, wie sie ihren Gatten und ihre Mutter ergötzten. Doch ihre Bemerkung wurde sogleich von Colonel Brandon aufgegriffen, der bei jeder Gelegenheit auf die Gefühle anderer Rücksicht nahm, und beide hatten zum Thema Regen viel zu sagen. Willoughby öffnete das Klavier und bat Marianne, sich daran zu setzen; und so, inmitten der verschiedenen Bemühungen mehrerer Leute, von dem Thema abzukommen, hatte es plötzlich ein Ende gefunden. Doch so leicht erholte sich Elinor nicht von dem Schrecken, in den es sie versetzt hatte.
Am selben Abend wurde für den folgenden Tag eine Landpartie zu einem sehr schönen Ort, etwa zwölf Meilen von Barton entfernt, verabredet, der einem Schwager Colonel Brandons gehörte und der ohne dessen Teilnahme nicht besucht werden konnte; der Besitzer, der zur Zeit im Ausland weilte, hatte strenge Anordnungen in diesem Punkt hinterlassen. Die Parkanlagen wurden für wunderschön erklärt, und Sir John, der sie besonders eifrig lobte, konnte das durchaus beurteilen, denn er hatte während der letzten Jahre mindestens zweimal im Sommer Landpartien arrangiert, um sie zu |72| besuchen. Es gab dort ein herrliches Gewässer; eine Spazierfahrt auf einem Segelboot sollte einen großen Teil des vormittäglichen Vergnügens bilden; man wollte kalten Proviant mitnehmen und nur mit offenen Kutschen fahren, und alles sollte in der üblichen Art und Weise einer vollendeten Vergnügungstour vonstatten gehen.
Einigen wenigen der Teilnehmer erschien das ein ziemlich kühnes Unternehmen, wenn man die Jahreszeit bedachte und daß es während der letzten zwei Wochen jeden Tag geregnet hatte; und Mrs. Dashwood, die bereits erkältet war, wurde von Elinor überredet, zu Hause zu bleiben.
|73| Kapitel 13
Der geplante Ausflug gestaltete sich ganz anders, als Elinor erwartet hatte. Sie war darauf vorbereitet, am Ende völlig durchnäßt, müde und erschöpft zu sein; doch die Dinge nahmen einen noch
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