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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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sich allgemeingültigeren Ansichten öffnet.«
    »Da kann ich Ihnen nicht zustimmen«, sagte Elinor. »Gefühle wie die Mariannes bringen Unannehmlichkeiten mit sich, die der ganze Charme der Begeisterung und Unwissenheit in der Welt nicht aufwiegen kann. Mit ihren Anlagen hat sie die unglückselige Tendenz, Anstandsregeln zu ignorieren; daß sie einmal die Welt besser kennenlernen wird, davon erhoffe ich mir für sie den allergrößten Gewinn.«
    Nach einer kurzen Pause nahm er die Unterhaltung mit den Worten wieder auf: »Macht Ihre Schwester keinen Unterschied in ihren Einwänden gegen eine zweite Bindung? Oder sollte es bei jedem gleichermaßen strafbar sein? Sollen diejenigen, die bei ihrer ersten Wahl – ob nun wegen des |66| Wankelmuts des geliebten Menschen oder durch widrige Umstände – enttäuscht worden sind, für den Rest ihres Lebens gleichermaßen an keine neue Liebe denken dürfen?«
    »Auf mein Wort, mit den genauen Einzelheiten ihrer Grundsätze bin ich nicht vertraut. Ich weiß nur, daß ich sie bisher niemals von einem Fall einer zweiten Bindung habe zugeben hören, daß sie verzeihlich sei.«
    »Das«, sagte er, »wird nicht so bleiben; aber eine Änderung, eine völlige Änderung der Gefühle – nein, nein, wünschen Sie das nicht   –, denn wenn die romantischen Feinheiten einer jungen Seele verdrängt werden müssen, wie oft folgen ihnen dann Ansichten, die nur zu alltäglich und zu bedenklich sind! Ich spreche aus Erfahrung. Ich kannte eine Dame, deren Veranlagung und deren Denken und Fühlen sehr denen Ihrer Schwester glichen, die dachte und urteilte wie sie, doch die wegen einer erzwungenen Veränderung – einer Folge unglücklicher Umstände   ...« Hier hielt er plötzlich inne, dachte anscheinend, daß er zuviel gesagt hatte, und der Ausdruck seines Gesichts gab Elinor Anlaß zu Vermutungen, die ihr sonst nicht in den Sinn gekommen wären. Die Dame hätte bei ihr wahrscheinlich keinen Verdacht erregt, hätte der Colonel Miss Dashwood nicht davon überzeugt, daß ihm nichts entschlüpfen sollte, was diese betraf. Wie die Dinge lagen, brauchte es nicht viel, in Gedanken seine Gemütsbewegung mit einer zärtlichen Erinnerung an eine frühere Liebe in Verbindung zu bringen. Elinor verfolgte den Gedanken nicht weiter. Doch Marianne hätte es an ihrer Stelle nicht mit so wenig bewenden lassen. Die ganze Geschichte wäre unter ihrer lebhaften Phantasie sehr rasch entwickelt und alles in die traurigste Klasse unglücklicher Liebe aufgenommen worden.

|67| Kapitel 12
    Als Elinor und Marianne am nächsten Morgen zusammen spazierengingen, berichtete die letztere ihrer Schwester eine Neuigkeit, die trotz allem, was sie von Mariannes Unklugheit und Gedankenlosigkeit kannte, durch einen jedes Maß übersteigenden Beweis von beidem überraschte. Marianne erzählte ihr mit dem größten Vergnügen, daß Willoughby ihr ein Pferd geschenkt hatte, eins, das er selbst auf seinem Gut in Somersetshire gezüchtet hatte und das ganz speziell für eine Frau bestimmt war. Ohne zu bedenken, daß es nicht in der Absicht ihrer Mutter lag, ein Pferd zu halten – daß sie, falls sie ihren Beschluß um dieses Geschenkes willen ändern würde, ein weiteres für einen Diener kaufen müßte und dazu einen Diener halten, um es zu reiten, und schließlich einen Stall bauen müßte, um die Pferde unterzubringen   –, hatte sie das Geschenk ohne Zögern angenommen und erzählte es ihrer Schwester voller Begeisterung.
    »Er will seinen Stallburschen sofort nach Somersetshire schicken, um es zu holen«, fügte sie hinzu, »und wenn es hier ist, wollen wir jeden Tag ausreiten. Du sollst seine Benutzung mit mir teilen. Stell dir nur vor, meine liebe Elinor, was für ein Vergnügen ein Galopp auf diesen Hügeln sein wird.«
    Äußerst unwillig ließ sie sich aus einem so glücklichen Traum reißen, um sich all die traurigen Wahrheiten klarzumachen, die mit dieser Sache verbunden waren, und eine Zeitlang weigerte sie sich, den Tatsachen nachzugeben. Was einen zusätzlichen Diener anging, wären die Ausgaben gering; Mama, da war sie sicher, würde niemals etwas dagegen haben; und für
ihn
wäre jedes Pferd gut genug; er könnte immer eins in Barton Park bekommen; und was den Stall betraf, |68| so würde ein bloßer Schuppen ausreichen. Elinor erlaubte sich dann anzuzweifeln, daß es richtig sei, ein solches Geschenk von einem Mann anzunehmen, den sie so wenig oder zumindest erst seit so kurzer Zeit kannte. Das war

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