Verstand und Gefühl
Whitwell zu sehen.«
Colonel Brandon drückte erneut sein Bedauern aus, daß er die Ursache für die Enttäuschung aller Versammelten sei, erklärte dies jedoch gleichzeitig für unvermeidbar.
»Nun, denn – und wann werden Sie wieder zurückkommen?«
»Ich hoffe, wir werden Sie wieder in Barton sehen, sobald Sie es einrichten können, die Stadt zu verlassen«, fügte Lady Middleton hinzu; »wir müssen eben die Landpartie nach Whitwell bis zu Ihrer Rückkehr aufschieben.«
»Sie sind sehr freundlich. Aber es ist so ungewiß, wann es |76| mir möglich sein wird zurückzukommen, daß ich gar nicht wage, etwas zu versprechen.«
»Oh! Er muß und wird zurückkommen«, rief Sir John. »Wenn er bis zum Ende der Woche nicht wieder hier ist, werde ich ihn holen gehen.«
»Ja, tun Sie das, Sir John«, rief Mrs. Jennings, »und dann finden Sie vielleicht auch heraus, was das für ein Geschäft ist.«
»Ich möchte mich nicht in die Angelegenheiten anderer Leute mischen; ich vermute, es ist etwas, dessen er sich schämt.«
Colonel Brandons Pferde wurden angekündigt.
»Sie wollen doch nicht etwa in die Stadt reiten?« fügte Sir John hinzu.
»Nein – nur bis Honiton. Dann nehme ich die Postkutsche.«
»Nun, da Sie einmal entschlossen sind zu gehen, wünsche ich Ihnen eine gute Reise. Aber sie sollten es sich lieber anders überlegen.«
»Ich versichere Ihnen, es liegt nicht in meiner Macht.«
Dann verabschiedete er sich von allen.
»Gibt es denn keine Hoffnung, Sie und Ihre Schwestern in diesem Winter in der Stadt zu sehen, Miss Dashwood?«
»Nein, leider gar keine.«
»Dann muß ich Ihnen für eine längere Zeit Lebewohl sagen, als mir lieb ist.«
Vor Marianne machte er nur eine Verbeugung und sagte nichts.
»Kommen Sie schon, Colonel«, sagte Mrs. Jennings, »bevor Sie gehen, lassen Sie uns wissen, weshalb Sie fortgehen.«
Er wünschte ihr einen guten Morgen und ging, von Sir John begleitet, hinaus.
Das Beschweren und Lamentieren, das man aus Höflichkeit bisher unterdrückt hatte, brach nun allgemein hervor, und alle versicherten einander immer wieder, wie unerträglich es sei, so enttäuscht zu werden.
»Aber ich kann mir schon denken, was für ein Geschäft das bei ihm ist«, sagte Mrs. Jennings frohlockend.
|77| »Wirklich, Ma’am?« fragten sie fast alle.
»Ja, ich bin sicher, es ist wegen Miss Williams.«
»Und wer ist Miss Williams?« fragte Marianne.
»Wie, Sie wissen nicht, wer Miss Williams ist? Bestimmt haben Sie schon von ihr gehört. Es ist eine Verwandte des Colonels, meine Liebe – eine sehr nahe Verwandte. Ich will ja nicht sagen, wie nahe, aus Furcht, die jungen Damen zu schockieren. Dann dämpfte sie ihre Stimme ein wenig und sagte zu Elinor: »Sie ist seine uneheliche Tochter.«
»Tatsächlich!«
»O ja; und ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Es kann gut sein, daß er ihr sein ganzes Vermögen vermacht.«
Als Sir John zurückkam, stimmte er kräftig in das allgemeine Bedauern über diesen so unglückseligen Vorfall ein; doch schloß er mit der Bemerkung, daß sie, da sie nun einmal alle versammelt seien, etwas zu ihrem Vergnügen unternehmen müßten; und nach einiger Beratung kamen sie überein, daß sie ihre Fassung durch eine Spazierfahrt in der Umgebung einigermaßen wiedergewinnen könnten, doch wirkliche Freude hätten sie nur in Whitwell gehabt. Also wurden die Kutschen bestellt; Willoughbys war die erste, und Marianne hatte niemals glücklicher ausgesehen, als in dem Augenblick, da sie in die Kutsche stieg. Er fuhr sehr schnell durch den Park, und bald waren sie dem Blick der anderen entschwunden und wurden bis zu ihrer Rückkehr – und das war erst, nachdem alle anderen schon wieder da waren – nicht mehr gesehen. Es schien, daß beide größtes Vergnügen an ihrer Fahrt gehabt hatten, doch sie erklärten nur ganz allgemein, daß sie auf den Wegen geblieben waren, während die anderen im Hügelland spazierenfuhren.
Für den Abend wurde ein Tanz vereinbart, und alle sollten den ganzen Tag lang besonders fröhlich sein. Zum Dinner kamen noch ein paar von den Careys hinzu, und zu ihrer Freude waren es nun fast zwanzig Leute, die am Tisch Platz nahmen, was Sir John mit großer Zufriedenheit feststellte. Willoughby nahm seinen üblichen Platz zwischen den beiden älteren Miss Dashwoods ein. Mrs. Jennings saß rechts neben Elinor, und |78| sie saßen noch nicht lange, als sie sich zurücklehnte und an Elinor und Willoughby vorbei zu Marianne so laut,
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