Versteckt wie Anne Frank
mich.
»Die vielen Kaninchen machen viel Arbeit«, sagte Onkel Jo eines Tages. »Und in die Garage passen nicht noch mehr Käfige. Außerdem ist es schwierig, genug Futter zu besorgen. Wir müssen sie weggeben.«
Ich nickte. »Aber Sijbeltje will ich behalten.«
Damit war Onkel Jo einverstanden.
Als ich ein paar Tage später nicht in die Garage durfte, dachte ich, die Kaninchen würden abgeholt. Erst später merkte ich, dass es im gesamten Haus nach gebratenem Fleisch roch. Ich stürmte nach unten. In der Küche waren Tante Toni und Onkel Jo und noch ein sehr großer Mann bei der Arbeit. Auf der Spüle lagen nackte Kaninchenkörper und Pfannen standen auf dem Herd. Ich weinte und schrie: »Wo ist Sijbeltje?«
Sie versicherten mir, Sijbeltje sei in der Garage in Sicherheit. Ich rannte in die Garage. Ganz hinten in der Ecke stand der Käfig, mit dem wir angefangen hatten. Ein großes rotbraunes Kaninchen saß darin. Das war nicht meine Sijbeltje!
Danach aßen wir einmal pro Woche Kaninchen. Alle schlemmten und lobten mich, dass ich mich so gut um sie gekümmert hatte. Ich habe kein einziges Stück essen können. Schon bei dem Gedanken, dass eines dieser Kaninchen meine Sijbeltje war, wurde mir schlecht.
Onkel Jo arbeitete jetzt weniger und malte viel. Er hatte eine Staffelei, eine Palette, Pinsel und eine große Kiste mit Farbtuben. Das Zimmer zum Garten war sein Atelier geworden, dort malte er Stillleben. Schalen voller Äpfel und Birnen und eine halbe Zigarette in einem Aschenbecher. Einmal malte er Weintrauben, von denen ein paar Wassertropfen abperlten. Sie waren richtig gut.
Alle Bilder wurden in reich verzierten Goldrahmen aufgehängt. Weil ich all die Stunden bei ihm verbrachte, hielt Tante Toni es für eine gute Idee, wenn er mir das Malen beibringen würde. »Dann muss er erst zeichnen lernen«, sagte Onkel Jo.
Seit diesem Tag machten Onkel Jo und ich »Kunst«. Es machte mir immer mehr Spaß. Onkel Jo meinte, es sei an der Zeit, dass ich meine Zeichnungen signierte. »Was ist das?«, fragte ich.
»Unterschreiben. Mit einem Künstlernamen.« Nachdem er mir auch erklärt hatte, was ein Künstlername war, grübelte und grübelte ich. Alle Hausbewohner mischten sich ein, letztendlich wurde es Jelle Stout. Jelle, weil das ein friesischer Name war. »In Friesland wohnen keine Juden«, sagten sie. Das war wichtig. Und Stout, was »frech« bedeutet, gefiel allen. Künftig unterzeichnete ich meine Kritzeleien also mit »Jelle Stout«.
Regelmäßig kam Onkel Sjaak zu Besuch, der Bruder von Onkel Jo. Er hatte eine Frau deutscher Herkunft, Tante Annie. Manchmal brachten sie ihren einzigen Sohn, Hans, mit, den ich überhaupt nicht mochte.
Onkel Sjaak hatte immer eine Geige dabei. Auf der Straße hielt er seinen Geigenkasten vor den Judenstern, genau wie Onkel Jo seine Aktentasche. Nach dem Tee holte er die Geige hervor. Sobald Tante Moeke hörte, dass Onkel Sjaak angefangen hatte zu spielen, kam sie nach unten. Sie setzte sich ans Klavier und schlug ziemlich übertrieben die Tasten G-D-A-E an, worauf Onkel Sjaak die Geige ausgiebig stimmte. Er kratzte auf der Geige, und dass Tante Moeke mit hoher Zitterstimme ein paar Zeilen mitsang, machte die Sache nicht besser. Nachdem Tante Toni den selbst gebackenen Apfelkuchen ausgeteilt hatte, schlich ich mich heimlich aus dem Wohnzimmer.
»Heute Nacht musst du ins Versteck«, sagte Tante Toni eines Tages. Onkel Sjaak war mitgenommen worden. Sein Sohn Hans würde darum heute Nacht in meinem Zimmer schlafen, und er durfte nicht wissen, dass ich da war. Bevor er aus der Schule kam, musste ich in meinem Versteck sein. Mit einer Taschenlampe und einer Decke kroch ich kurz nach vier hinter die Holzplatte, machte mein Bett und schaltete die Taschenlampe aus. Ich versuchte an schöne Sachen zu denken.
Nach einer Weile musste ich zur Toilette. Mir blieb nichts anderes, als die Taschenlampe einzuschalten und den Nachttopf mit dem blauen Rand aufzusuchen.
Ich wachte von Schritten auf der Treppe auf. »Igitt«, sagte Hans, als er mein Zimmer betrat. »Hier stinkt’s nach Scheiße!« Ich hörte, wie er sich auszog, und eine Weile später quietschte mein Bett, als er sich hinlegte. Ich wagte nicht einmal, mich von einer auf die andere Seite zu drehen.
Es kam jetzt öfter vor, dass ich nachts im Versteck schlief, weil vor Hausdurchsuchungen gewarnt wurde. Zum Glück war es immer falscher Alarm, aber die Anspannung verdarb die Stimmung im Haus.
Eines Abends wollte ich Onkel Jo
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