Versteckt wie Anne Frank
uns«, sagte mein Vater. Aber als wir nach ein paar Monaten wieder umziehen mussten, verlor sogar er etwas von seiner Zuversicht.
Wir zogen jetzt in ein Viertel, in dem ausschließlich Juden wohnten, die wussten, ihre nächste Adresse würde das Lager Westerbork sein. Anschließend würde der Transport in ein »Arbeitslager« in Deutschland erfolgen. Geschichten darüber, was dort mit Juden passierte, schwirrten durch das Viertel.
Jeden Freitagabend kaufte mein Vater Leckereien beim jüdischen Bäcker. Und frische Erdnüsse. Einen Moment lang schien der Krieg dann weit weg. Aber später am Abend wechselte die Stimmung. Dann kamen Lastwagen und es ertönten Befehle deutscher Offiziere. Mit Listen in der Hand schickten sie die Soldaten zu den Adressen, an denen Juden mitgenommen werden mussten. Bei diesen Razzien wurden die Menschen brutal aus ihren Häusern gezerrt und in Lastwagen abgeführt. Jedes Mal warteten wir voller Angst und Anspannung, ob auch wir auf der Liste standen.
Wohnungen, die anfangs schnell wieder bewohnt waren, nachdem eine Familie »verzogen« war, blieben jetzt leer. Ein dicker Nagel wurde durch die Tür in den Rahmen geschlagen und die Schlösser versiegelt. So konnten die Deutschen sicherstellen, dass dort keiner mehr wohnte.
Die Tage krochen vorbei. Bis eines Tages viel Aufregung im Viertel herrschte, in dem trotz allem noch immer viele Leute lebten. Abends nach dem Essen sagte mein Vater: »Heute Abend kommen die Deutschen wieder und sie werden jeden, wirklich jeden, mitnehmen.«
Gleich nach dem Essen verschwand er nach draußen. Als er nach einer Weile zurückkam, hämmerte er an die Tür. Drinnen saßen wir ängstlich und warteten, bis er fertig war. Endlich kam er herein. Wir mussten uns an den Tisch setzen.
»Gut«, sagte er, »wenn es dunkel wird, müsst ihr mucksmäuschenstill sein. Wir schließen die Vorhänge, machen das Licht aus. Die Uhr stellen wir still, auch das Ticken kann uns verraten. Die Wohnungstür ist schon abgeschlossen, und an der Außenseite habe ich einen Nagel durch die Tür geschlagen, wie bei den anderen Häusern, die unbewohnt sind. Bloß ist unsere Tür nicht wirklich zugenagelt. Ich habe den Nagel in der Mitte durchgesägt und er kommt nicht mal durch die Tür. Bei einer leer stehenden Wohnung habe ich das Siegel von der Tür gelöst und über unser Schlüsselloch geklebt. So sieht es aus, als wäre unsere Wohnung schon geräumt. Jetzt essen wir noch mal was. Brot, denn Kochgerüche könnten uns verraten. Und dann gehen wir schlafen.«
Eine halbe Stunde später stand die Uhr still und im Haus war es stockfinster. Ich lag im Bett und starrte ins Nichts.
Ich wachte auf, als draußen Autos lautstark anfuhren und bald darauf wieder anhielten. Deutsche Kommandos, Stiefel und Gejammer. Ich kroch aus meinem Bett und tastete mich ins Wohnzimmer vor. Vater und Mutter waren schon dort, und Jetty kam einen Moment später herein. Unten wurde die Haustür aufgebrochen. Auf der Etage über uns wohnte ein älteres Ehepaar. Ich kannte sie nicht, aber in dieser Nacht hörte ich sie, als sie die Treppen hinuntergeprügelt wurden.
Die deutschen Soldaten kamen wieder nach oben, wir hörten ihre Stimmen vor unserer Tür. Es dauerte und dauerte. Endlich entfernten sich ihre Schritte. Kurz danach ertönte der Motor des Überfallwagens, der losfuhr und zehn Meter weiter vor dem nächsten Hauseingang hielt.
Als ich am nächsten Morgen ins Wohnzimmer kam, waren meine Eltern schon angezogen. Die Vorhänge waren geschlossen, in der Wohnung herrschte eine unwirkliche Stimmung. Und es war still, so unglaublich still. Der Tisch war anders gedeckt als normalerweise. Die Tischdecke fehlte und auf dem Tisch lagen Päckchen. »Das ist eure Verpflegung«, sagte Mutter, »den Rest erklärt Vater euch.«
»Im gesamten Viertel wohnt niemand mehr«, sagte er. »Die Geschäfte sind geschlossen, und es ist zu gefährlich, außerhalb des Viertels einzukaufen. Wir müssen hier weg. Es ist auch zu gefährlich, gemeinsam wegzugehen, darum müssen wir uns getrennt auf den Weg machen.«
Jetty und ich durften nicht wissen, wohin Vater und Mutter gehen würden, und ich durfte auch Jettys neue Adresse nicht hören. Ich war zuerst an der Reihe, Jetty musste ins Schlafzimmer gehen.
Da saßen wir zu dritt. Vater sagte: »Weißt du noch, wie du zu Tante Toni und Onkel Jo kommst?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich erkläre es dir, es ist ganz leicht. Du gehst hier um die Ecke und hinter den Geschäften
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