Versteckt
anfing, sich das Zeug zu spritzen, war sie im zweiten Semester, ich im dritten. Irgendwie bin ich ihr da wohl über den Weg gelaufen, aber die genaueren Umstände habe ich vergessen.
Erinnert ihr euch noch an die Aufnahmerituale am College?
Es ging darum, einer Klasse von Erstsemestern eine Woche lang das Leben zur Hölle zu machen. Es sind Frischlinge, und du selbst bist schon im zweiten Semester und kannst mit ihnen machen, was du willst. Ein Jahr zuvor hast du dasselbe durchgemacht, jetzt bist du endlich am Drücker. Sie tragen dir die Einkäufe, befolgen alle Befehle. Auf dein Kommando machen sie Liegestütze oder Sit-ups oder rennen auf der Stelle. Du zwingst sie, ekelhafte Sachen zum Nachtisch zu essen – zum Beispiel Mangochutney direkt aus dem Glas. Du beschimpfst sie, und sie müssen dich mit »Sir« anreden. Du kannst so gut wie alles mit ihnen anstellen. Nur physische Gewalt ist tabu, und sie dürfen auch nicht zu spät zur Vorlesung kommen.
Früher oder später werden sie sich zusammenrotten und eine Meuterei planen. Immerhin bezahlen ihre Eltern für diese Scheiße! Anführer werden gewählt, Bündnisse eingegangen, Pläne geschmiedet und verworfen. Ihre »Tutoren« aus den oberen Stufen, die sich sonst einen feuchten Dreck um sie scheren, halten sie dazu an, den Frieden zu wahren.
Dann steht schließlich die »Höllennacht« vor der Tür. Man pfercht die Erstsemester in einem Hörsaal zusammen und beschimpft sie eine halbe Stunde lang auf übelste Weise. Aus den Lautsprechern dringen Stöhnen und Kreischen und metallische, kreischende Rückkopplungen. Das schwache Licht wird irgendwann ganz ausgeschaltet, und man leuchtet mit Taschenlampen in erschreckte Erstsemestergesichter. Sie schreien. Du schreist auch, und zwar noch lauter. Jeden Moment kann die Hölle losbrechen.
Schließlich wird die Bühne in sanftes Licht getaucht. Einer ihrer Anführer liegt dort, gefesselt, mit einer Augenbinde. Und dann geschieht, was auf keinen Fall geschehen darf. Plötzlich prügeln sie den Typen windelweich. Es sieht völlig echt aus! Er spielt natürlich mit, aber das weiß die Menge nicht, und kurz bevor sie die Bühne stürmt und eine Schlägerei anfängt, wird das Licht eingeschaltet. Alle höheren Semester grinsen und applaudieren und umarmen den Feind. Jetzt gehört ihr zu uns! Ist das nicht toll?
Das Komische ist: Es funktioniert tatsächlich. Bei mir jedenfalls. Im Jahr zuvor war ich einer der größten Aufrührer unter den Erstsemestern gewesen, nur um den Streich am Ende richtig lustig zu finden. Aus diesem Grund war ich im Jahr darauf auch Jahrgangssprecher, wodurch ich für die Frischlinge so etwas wie einen Gott darstellte.
Das gefiel mir. Ich gab eine Mischung aus Dracula und Wolfman, spielte meine Rolle abwechselnd mit tückischer Hinterlist und zügelloser Brutalität.
Im nächsten Jahr, als Jen – ich werde sie Jen nennen – in das Erdgeschossapartment des Hauses zog, in dessen drittem Stock ich wohnte, gestand sie mir, dass sie Angst vor mir gehabt hatte.
Und ein paar Monate später machte sie mir Angst. Und zwar täglich.
Weil sie Risiken einging.
2. Ich glaube zwar nicht an Omen, aber ich glaube, dass man spüren kann, wenn Ärger im Anmarsch ist.
Mit Jen probierte ich auch zum ersten Mal Marihuana. Sie, eine Freundin und ich rauchten einen Joint in meiner Wohnung. Plötzlich, als ich gerade mitten in dieser seltsamen neuen Erfahrung steckte, die so gar nichts mit dem gewohnten Bierrausch zu tun hatte und mich gleichzeitig erregte und verwirrte, schlug jemand vor, spazieren zu gehen. Es war eine angenehme Nacht.
Sobald ich die Straßen von Beacon Hill betrat, traf mich die Paranoia wie ein anstürmender Angusbulle. Die Straßenlaternen waren so unnatürlich hell, dass sie mir wie Scheinwerfer vorkamen. Die Entfernung zwischen meinen Füßen und meinen Augen war viel zu groß – als würde ich mit den Beinen von jemand anderem gehen. Jedes vorbeifahrende Auto war voller Zivilfahnder.
Die Mädels waren regelmäßig high und kannten dieses Gefühl, daher plapperten sie nur vergnügt vor sich hin, während ich hinter ihnen herstolperte und so etwas wie eine existenzielle Furcht verspürte. Sogar ihr Geschnatter machte mir Angst.
Wieso waren sie so normal? Hatten sie überhaupt mitgeraucht? Hatten sie mich vergiftet?
Als sie in eine Seitenstraße einbogen – gottverdammt, eine Seitenstraße! –, die die West Cedar Street mit der Charles Street verband, machte ich wortlos kehrt und
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