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Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)

Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)

Titel: Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt , Giovanni di Lorenzo
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überraschend. In der Rückschau darf man es aber so sehen.
    Warum waren Sie dann für den Nato-Doppelbeschluss?
    Wenn zwei Kontrahenten gleich stark sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass einer den anderen angreift, geringer, als wenn einer sehr viel stärker ist. Der Doppelbeschluss war notwendig, weil das Gleichgewicht auf einem Feld total gestört war: Die Sowjets bauten Mittelstreckenraketen, die mit jeweils drei atomaren Sprengköpfen ausgestattet waren. Mit einer einzigen Rakete dieses Typs konnten sie drei europäische Städte gleichzeitig ausradieren, zum Beispiel Düsseldorf, Köln und Dortmund.
    Die Nato hatte solche Raketen nicht.
    Richtig. Außerdem war 1979, im Jahr des Doppelbeschlusses, absehbar, dass es bald einen Wechsel in der sowjetischen Führung geben würde, denn Breschnew und die Mitglieder des Politbüros waren alt. Man wusste nicht, in wessen Hände die Raketen fallen würden; es war zu befürchten, dass künftige Machthaber die vor allem auf deutsche Städte gerichteten Atomraketen zur Nötigung und Erpressung nutzen würden. Und es war unklar, wie der Westen, vor allem die US-Regierung, in diesem Fall reagiert hätte.
    Was haben die Amerikaner gesagt, als Sie ihnen Ihre Befürchtungen vortrugen?
    Das Ganze spielt zur Zeit der Präsidentschaft von Jimmy Carter. Wir machten seinen Sicherheitsberater, Zbigniew Brzezinski, auf diese neuen Mittelstreckenwaffen aufmerksam, aber er war der Meinung, das sei alles nicht so schlimm – weil die USA ja den ganz großen Knüppel hätten.
    Und Sie waren gegen den großen Vergeltungsschlag, aus moralischen Gründen?
    Um Moral ging es hier nicht. Es war ganz klar, dass eine einzige Anwendung des großen Knüppels entsetzliche Folgen für die Menschheit haben würde, weit entsetzlicher als in Hiroshima. Heute, im Jahre 2010, ist das auf der Welt vorhandene nukleare Zerstörungspotenzial hunderttausendmal so groß wie das der Bombe, die die Amerikaner 1945 über Hiroshima abwarfen.
    Also waren die Befürchtungen der Rüstungsgegner in den siebziger und achtziger Jahren richtig?
    Sie waren durchaus gerechtfertigt. Jemand, der vor einer Atombombe keine Angst hat, muss verrückt sein. Aber das Schlimme war doch, dass diese Leute zum Teil bereit waren, sich den sowjetischen Diktaten zu unterwerfen. Lieber rot als tot, das war eine verbreitete Haltung, und das hieß: Lieber tue ich das, was die Kommunisten verlangen, als dass ich mich verteidige.
    Aber Sie haben doch selbst gesagt, dass die Sowjets gar nicht angreifen wollten!
    Das sage ich heute. Damals wusste man das nicht. Man konnte nicht wissen, was die Nachfolger von Breschnew tun würden. Breschnew selbst war ein alter, kranker Mann. Er wusste, was Krieg war, im Gegensatz zu manchen Generälen im Westen. Aber hinter Breschnew gab es einige sehr aggressive Leute im sowjetischen Politbüro, und im sowjetischen Militär gab es sehr aggressive Generäle.
    Die Friedensbewegung hat Sie wegen des Doppelbeschlusses zum Feindbild erkoren.
    Die haben nicht gut hingehört und waren komplizierten Gedankengängen nicht sonderlich zugetan. Sie waren emotional. Es waren jeweils etwa 300   000, 400   000 Leute, die da in Bonn demonstriert haben – einmal zu meiner Amtszeit und dann noch ein weiteres Mal während der Kanzlerschaft Kohls. Aber Kohl hat am Doppelbeschluss festgehalten, der ganze Westen hat daran festgehalten – und hatte damit Erfolg: 1988 trat der INF-Vertrag in Kraft, in dem sich beide Seiten verpflichteten, ihre Mittelstreckenwaffen abzuschaffen.
    Schmeichelt es Ihnen, vor der Geschichte recht behalten zu haben?
    Es schmeichelt mir, wenn Sie das so feststellen. Ich bin nämlich derselben Meinung.
    Was macht Ihnen heute am meisten Angst, wenn Sie an das gewaltige atomare Zerstörungspotenzial denken?
    Ich habe keine Angst, aber ich mache mir Sorgen. Die Zahl der atomar bewaffneten Staaten hat sich im Laufe der letzten vierzig Jahre von fünf auf neun erhöht. Hinzugekommen sind Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea. Angeblich ist auch Iran dabei, sich nuklear zu bewaffnen, aber das ist nicht bewiesen. Jedenfalls hat der Atomwaffensperrvertrag, der 1970 in Kraft trat, die Ausbreitung von Atomwaffen zwar erheblich behindert, aber nicht ganz verhindert. Und diese Entwicklung kann weitergehen. Das ist die eine Sorge.
    Und die andere?
    Die andere Sorge ist, dass Atomwaffen in die Hände terroristischer Nichtregierungsorganisationen gelangen könnten. Zum Beispiel durch einen Putsch oder einen Kuhhandel:

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