Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)
Beziehungen sind im gegenseitigen Einvernehmen zurzeit inaktiv.« Ich war vor Jahren einmal mit einer Politikerin zusammen. Mein Wortschatz hatte sich in dieser Zeit gewandelt, und das kam dabei heraus, wenn man einfach nur sagen wollte: Wir haben uns eine Auszeit voneinander genommen.
Vaasenburg ließ sich aber selbst dadurch nicht aus der Deckung locken. »Es wäre in ihrem eigenen Interesse, wenn sie sich umgehend bei mir meldet.«
Das hatte Zuzanna Makowska auch gesagt. Wenn mich bis eben nur die Ungewissheit um einen Menschen bewegt hatte, der offenbar untergetaucht war, bekam die Sache durch Vaasenburg eine andere Dimension.
»Sagen Sie mir einfach, warum. Betrachten Sie mich als Frau Hoffmanns Anwalt.«
»Immer noch so schnell bei der Sache, wenn es etwas zu verdienen gibt?«
»Nein«, antwortete ich und versuchte ruhig zu bleiben. »Aber immer in vorderster Linie, wenn es einen Grund gibt, mir um jemanden Sorgen zu machen. Hätten wir das hiermit geklärt?«
Er schwieg. Ich versuchte mich gegen den falschen Giacometti zu lehnen und blieb mit dem Ärmel an einer rostigen Fahrradspeiche hängen.
»Sie machen sich also Sorgen?«, fragte er schließlich.
»Marie-Luise«, ich nannte sie mit Vornamen, weil es auch bei Herrn Vaasenburg eine Zeit gegeben hatte, in der er sie wohl kaum mit »Frau Hoffmann« angeredet hätte, »ist offenbar seit zwei Wochen spurlos verschwunden. Und jetzt Sie.«
»Gegen Frau Hoffmann liegt ein Haftbefehl aus Polen vor.«
Ich riss mich von der Speiche los. »Weshalb?«
»Gewaltverbrechen.«
»Deutlicher.«
»Ich kann nicht mehr …«
»Ich bin ihr Anwalt!«, brüllte ich.
Erst dachte ich, er hätte aufgelegt, denn es war mit einem Mal still in der Leitung. Dann sagte er: »Beihilfe zum Totschlag. Ermittelt wird auch in Richtung Mord.«
»Wollen Sie mich verarschen?«
»Glauben Sie mir, so schlecht ist mein Humor nun auch wieder nicht. Was ich von den Kollegen aus Polen als Rechtshilfeersuchen auf den Tisch bekommen habe, ist kein Witz. Das ist ernst.« Endlich schwang in seiner Stimme so etwas wie persönliche Anteilnahme mit. »Wenn Sie eine Ahnung haben, wo sie sein könnte«, fuhr er fort, »wäre jetzt der passende Zeitpunkt, um damit herauszurücken.«
»Was genau liegt gegen sie vor?«
»Herr Vernau …«
»Ich will es wissen. Ich habe ein Recht darauf. Ich bin …«
»Die Nürnberger hängen keinen, es sei denn, sie hätten ihn.«
»Sprüche, Herr Vaasenburg, helfen uns nicht weiter.«
Er seufzte. »Kommen Sie morgen in mein Büro. Um zehn. Ich versuche bis dahin mehr herauszubekommen.«
Er legte auf, noch bevor ich danke sagen konnte.
6
Der kleine Häwelmann. Mit seinem Bett fliegt er über die Stadt, rollt durch die Straßen, sieht die ganze Welt.
Stimmen, von weit her. Schritte, Gummisohlen auf Linoleum. Das Scheppern eines Küchenwagens. Nein, kein Küchenwagen. Ein Bett. Der kleine Häwelmann muss die Orientierung verloren haben. Er wird durch einen hohen, engen Gang geschoben. Neonröhren an der Decke. Alte Holzbänke vor den Wänden. Graue Ölfarbe. Zimmertüren. Eine steht offen, der Blick verfängt sich im Vorüberruckeln in den Gestellen von sechs Betten, nebeneinander aufgereiht, alle mit großen Rollen. Ein weißes Bein, verrutschte Decken. Es riecht nach Kohl und Desinfektionsmittel. Ein Krankenhaus. Der kleine Häwelmann hat wohl eine Bruchlandung hingelegt.
Mühsam versucht er, den Kopf zu bewegen. Aber sein ganzer Körper scheint wie aus Beton gegossen. Ihm ist schlecht. Galle steigt ihm in die Kehle, brennt ätzend in der Speiseröhre. Er würgt, keucht, bekommt keine Luft. Das Bett wird einfach weitergeschoben. Er hört Stimmen. Jemand ruft, doch er kann die Sprache nicht verstehen. Hustend bäumt er sich auf, ringt nach Luft. Verfilzte rote Haare fallen ihm ins Gesicht.
Ein Pfleger mit stoischem Ausdruck in seinem so glatten, fast kindlichen Gesicht schiebt ihn durch eine Tür. Drei Betten stehen im Raum, alle sind belegt. Häwelmann kann eine schlafende alte Frau erkennen, eine weitere verborgen hinter einem Buch und ein junges Mädchen. Es liegt auf der Seite, die Hand auf den Unterleib gepresst, und achtet ebenso wenig wie die anderen auf den Neuzugang.
Der Pfleger arretiert das Bett gegenüber dem Mädchen an der Fensterfront. Er wendet sich ab, nickt dem Patienten noch einmal zu und geht ohne ein Wort.
Mühsam setzt der Neuankömmling sich auf. Sein Kopf ist bandagiert, ebenso wie die Hände. Er trägt ein kurzes
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