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Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)

Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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keine Ermittlungsbeamtin. Weil Sie Verständnis dafür haben, dass ich mir Sorgen mache.«
    Sie verfügte über erstaunlich viele Variationen, ihre schmalen Augenbrauen hochzuziehen. Diese sagte aus: Ich glaube dir kein Wort.
    »Wollen Sie gewinnen?«, fragte ich.
    »In diesem Fall kann man nicht gewinnen. Nur das Beste bei einem Schuldspruch herausschlagen.«
    »Haben Sie denn nicht einen Moment lang versucht, es sich vorzustellen?«
    »Nicht bei dieser Beweislage.«
    »Die hat gestern noch ganz anders ausgesehen. Und morgen ist ein neuer Tag. Was, wenn die Frau gar nicht Marie-Luise Hoffmann ist? Was, wenn alles ganz anders war? Ich kenne die beiden. Keiner von ihnen ist ein Mörder.«
    »Niemand ist ein Mörder. Bis es geschieht.«
    Sie stieg die Stufen zum Parkplatz hinab. Ich blieb an ihrer Seite, bis wir einen kleinen, staubverkrusteten Wagen erreichten. Der Wind frischte wieder auf. Ein kalter, unangenehmer Ostwind, der den zarten Hauch von Sommerabend vertrieb. Ich fröstelte.
    »Was haben Sie eigentlich gegen mich? Ich will Ihnen doch nur helfen.«
    Sie ließ die Zigarette fallen und trat die Glut aus. »Ich brauche Ihre Hilfe nicht.«
    »Das hat sich gestern aber noch ganz anders angehört.«
    Wütend funkelte sie mich an. »Das war ein Fehler. Es wird nicht mehr vorkommen, verlassen Sie sich darauf. Ich bin durchaus in der Lage, diesen Fall alleine durchzuziehen.«
    Das war es also. Irgendein Minderwertigkeitskomplex. Wahrscheinlich war Jacek wie üblich in ein Fettnäpfchen getreten, als er Zuzanna losgeschickt hatte, um gleich bei zwei deutschen Anwälten Hilfe zu holen. Dass die eine von beiden nun selbst bis zum Hals in Schwierigkeiten steckte, befeuerte Zuzannas Angriffslust nur noch mehr.
    »Ich muss mit Jacek sprechen«, sagte ich.
    »Dann stellen Sie einen Antrag. Auch in Polen gelten Vorschriften.«
    Sie holte den Schlüssel heraus und öffnete die Tür. Der Wagen gab ein quiekendes Geräusch von sich und blinkte kurz.
    »Das dauert viel zu lange. Morgen. Nehmen Sie mich mit.«
    »Wie stellen Sie sich das vor? Das ist völlig ausgeschlossen.«
    »Ich trage Ihre Aktentasche. Ich bin Ihr Praktikant.«
    Zum ersten Mal, seit wir uns begegnet waren, schlich sich so etwas wie ein amüsiertes Lächeln in ihre Mundwinkel.
    »Was versprechen Sie sich davon?«
    »Mich wird er nicht belügen.«
    »Aha.« Das Lächeln verschwand schlagartig. Sie warf ihre Tasche auf den Beifahrersitz.
    »Zuzanna. Sind Sie wirklich hundertprozentig von Jaceks Schuld überzeugt? Oder wollen Sie nicht doch den größeren Triumph, einen Freispruch? Glauben Sie, was in den Polizeiberichten steht?«
    »Ob ich dem Staatsanwalt, den Kripobeamten, der Spurensicherung, der Rechtsmedizin … ob ich denen glaube? Ist das Ihre Frage? Ja. Ja, ich glaube ihnen. Allen.«
    »Nur Jacek Zieliński nicht.«
    Sie schwieg.
    »Dann sollten Sie das Mandat niederlegen.«
    Sie stieg ein, warf die Tür zu, legte einen missglückten Kavaliersstart hin, würgte den Motor ab, startete neu und holperte in einer Sandwolke davon.

9
    Der König trug eine wuchtige goldene Krone und breitete wohlwollend die Arme aus, mit denen er problemlos ein Mehrfamilienhaus hochheben könnte. Er trug ein schmal gegürtetes Gewand und einen fast bodenlangen Umhang – ein Herrscher mit gerechtigkeitsverheißendem Blick. Schon von weitem konnte man die riesige Statue sehen, und es dauerte, bis ich die Erklärung zu diesem Phänomen gefunden hatte. Es war die größte Christusstatue der Welt. Zu Füßen des über dreißig Meter hohen Standbilds ein Altar aus leeren Autobahnzubringern. Ich sah Jesus noch lange im Rückspiegel. Ich hätte ihn auf einen Gipfel gestellt oder ans Ufer eines breiten Stroms. Jesus sah einsam aus.
    In Poznań gab es drei Krankenhäuser und eine Handvoll Privatkliniken, die sich um die Schönheit zahlungskräftiger Kunden aus dem In- und Ausland kümmerten. So hatte es mir mein Smartphone verkündet. Mittlerweile vertraute ich auch meinem Navigationsgerät – ich würde knapp zwei Stunden brauchen. Es würde länger dauern, bis ich wieder nüchtern war. Aber darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen.
    Den Erlöser im Rücken fuhr ich hinein in eine überwältigende, späte Abenddämmerung. Ein tiefdunkelblauer, hoher Himmel, der sich westwärts im Violett, dann im Türkis und den verhangenen Spektralfarben des Sonnenuntergangs verlor. Wie Scherenschnitte erhoben sich die Wälder auf sanften Hügeln. Kleine Dörfer, dunkel meist, die Häuser mit

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