Versunkene Gräber - Roman
Ohren in einem Raubmord.
8
Der Kakadu krächzte. Mit gesträubter Federhaube trat er von einem Fuß auf den anderen. Palmenfächer bewegten sich in der leichten Brise, die durch die geöffneten Fenster strich. Die Luft war feucht und schwer, sie roch nach Erde und Orchideen. Ein Fahrstuhl führte hinauf in das Blätterdach. Über einen Steg gelangte man quer durch die Halle bis zur Stirnseite des Gewächshauses. Ans Geländer gelehnt beobachtete ich den Vogel, und er beobachtete mich.
Ich war mit Zuzanna im Palmenhaus von Grünberg verabredet. Oder vielmehr im Palmiarnia von Zielona Góra. Besser, ich gewöhnte mich gleich an die polnische Bezeichnung. Das Restaurant im Erdgeschoss war noch leer. Ein Kellner schlenderte an den Tischen vorbei, richtete hier eine Serviette, dort ein Glas. Ich war zu früh, weil ich die Fahrtzeit falsch eingeschätzt hatte. In meiner Erinnerung hörte die Autobahn kurz hinter der Grenze bei Frankfurt/Oder auf, und enge, schlaglochübersäte Straßen führten über Dorfanger und Deiche in mäandernden Windungen durch ein vom Fortschritt abgehängtes Land.
Wann war ich das letzte Mal in Polen gewesen? Eine Fahrt mit Marie-Luise nach Danzig, Mitte der Neunziger, die Küste Pommerns entlang. Eine Kirchenruine am Meer, erhaben und einsam. Fischerboote im Schlick. Grauer Putz bröckelte von Fassaden. Es stank nach verbleitem Benzin und Kohle. Drei Tage reisten wir über Leba, Kolberg und Puck in die alte Hansemetropole. Wir liefen Hand in Hand durch die Altstadt, von polnischen Meistern originalgetreu wieder aufgebaut, zündeten eine Kerze in der Marienkirche an, tranken Goldwasser in einer Kneipe am Krantor und liebten uns in einem heruntergekommenen kleinen Schloss am Meer in Sopot. Es war ein Abenteuer gewesen, gewürzt mit junger Liebe und der fieberhaften, freudigen Erwartung, das neue Europa auszupacken wie ein Geschenk.
Küstrin … ebenfalls mit Marie-Luise. Jahre später. Ein Gang durch eine Altstadt, in der nur noch Geister wohnten. Wir tanzten über das verwitterte Parkett des Schlosses zu einer Melodie, die ihr gerade in den Sinn gekommen war, als sie in den Nachthimmel über uns geblickt hatte. Ich erinnerte mich daran, Sehnsucht nach etwas verspürt zu haben, das ich nicht gefunden hatte.
Heute brauchte man von Berlin aus über die neue A 2 gerade einmal zwei Stunden bis Zielona Góra. Ich hatte meinem Navigationsgerät misstraut und mit der doppelten Fahrtzeit gerechnet. Um mir die Zeit bis zu Zuzannas Eintreffen zu vertreiben, hatte ich einen Spaziergang durch die Fußgängerzone der hübschen Altstadt gemacht, vorbei an klassizistischen Bürgerhäusern und einem Museum, das mich irritierte, weil es seine Ausstellung über den Weinanbau gemeinsam mit einem Besuch des mittelalterlichen Folterkellers bewarb. Ich mochte die Stadt. Sie wirkte klein und zufrieden mit sich, hatte viel getan, um Altes zu bewahren, und dem Neuen außerhalb der Stadtmauern seine Chancen gegeben.
Noch im Foyer der Keithstraße hatte ich Zuzanna angerufen und um ein Treffen gebeten. Sie war abweisend bis zur Unfreundlichkeit gewesen. Ich wusste nicht, womit ich diese Aversion hervorgerufen haben könnte. Schon bei unserer ersten Begegnung in der Schlüterstraße hatte sie mich und Marquardt behandelt wie einen persönlichen Feind. Vielleicht fühlte sie sich unterschätzt, nicht ernst genommen. Sie wirkte jung und unerfahren, kaschierte diese Blöße mit Arroganz und fester Stimme. Ich verzichtete bei dem Telefonat auf jede Art von Charme und versuchte es stattdessen mit der höflichen Bitte um eine kurze Unterredung, da es sich bei mir quasi um den einzigen gemeinsamen Freund der beiden Tatverdächtigen handelte und ich ihr vielleicht bei Fragen weiterhelfen könnte. Sie zögerte erst, willigte schließlich aber ein. Ich wäre auch nach Poznań gekommen, doch sie hatte Zielona Góra vorgeschlagen. Ein Treffen auf halber Strecke, wie es Duellanten vereinbarten.
Um kurz vor sechs traf eine achtköpfige Familie ein, dann folgten, als hätten sich alle zur gleichen Zeit verabredet, mehrere junge Pärchen, einige Touristen und eine deutsche Reisegruppe, die offenbar mit Fahrrädern unterwegs war, denn die Teilnehmer wollten sich partout weder von ihren Helmen noch von ihren Rucksäcken trennen. Wahrscheinlich hatten sie um die erste Wache gewürfelt, denn kurz darauf stand einer von ihnen mit einem Glas Wasser in der Hand auf, ging nach draußen und kehrte ohne das Getränk wieder zurück.
Um halb
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