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Versunkene Gräber - Roman

Versunkene Gräber - Roman

Titel: Versunkene Gräber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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dir?«
    »Beschissen wäre geprahlt. Was machen wir eigentlich mitten in der Nacht in der polnischen Wildnis?«
    »Ich bringe dich in Sicherheit.«
    »Vor was?«
    Ihre Augen flackerten, als sie mich ansah. Tief in ihr saß die Angst.
    »Das musst du doch wissen.«
    »Ich?«, fragte sie. Am Ufer ragte ein Baumstumpf aus der schwarzen Erde. Vorsichtig ging sie darauf zu und setzte sich. »Hast du noch deinen Notfallvorrat?«
    Ich ging zurück zum Wagen, öffnete den Kofferraum und holte den Verbandskasten heraus. Zwei Päckchen Mull hatte ich entfernt, stattdessen lagen dort eingebettet eine angebrochene Packung Zigaretten, Streichhölzer und eine kleine Flasche billiger Cognac. Mir fiel auf, dass der Kasten seit Jahren mit mir herumfuhr, ohne dass ich den Inhalt einmal erneuert oder ersetzt hätte. Und dass ich, sollte ich in dieser Nacht in eine Verkehrskontrolle geraten, wahrscheinlich größere Sorgen haben würde.
    Ich nahm ihn mit hinunter zu Marie-Luise. Sie befreite gerade mit zusammengebissenen Zähnen die rechte, nicht ganz so schwer verletzte Hand und betrachtete die tiefe, halb verkrustete und gerötete Wunde.
    »Ist das ein Schnitt?«, fragte sie.
    »Eher ein Riss. Gib mir ein Pflaster, das ist besser.«
    Ich verklebte ihre Handfläche, so gut es in der Dunkelheit ging. Dann zündete ich ihr eine Zigarette an und öffnete den Flaschenverschluss. Während sie rauchte, nahm sie ab und zu einen Schluck Cognac. Als sie mir die Flasche anbot, schüttelte ich nur den Kopf. Ich fuhr einen Fluchtwagen.
    »Schmutzpartikel«, sagte sie. »Rostiges Eisen. Mein Gott, wer hat mich denn so zugerichtet?«
    Das schwache, mondlose Licht reichte nicht aus, um mehr als das zu erkennen, was ich schon im Krankenhaus gesehen hatte.
    »Mir kommt es wie ein Unfall mit anschließender Fahrerflucht vor. Du bist nicht zusammengeschlagen worden. Vielleicht bist du vor einen Traktor gelaufen?«
    »Quatsch.«
    Sie wies auf ihren Kopf. »Ich habe eine Riesenbeule. Was mich wirklich verrückt macht: Ich weiß nicht, wie es passiert ist.«
    Sie stieß den Rauch aus und sah ihm nach. Ich schwieg. So lange, bis es ihr auffiel.
    »Was ist?«
    »Du und Jacek …«
    »Was ist mit mir und Jacek?«, fragte sie scharf.
    »Ihr leidet beide offenbar unter Amnesie.«
    »Was hat mein Zustand mit Jacek zu tun? Auf der Fahrt ist es mir wieder eingefallen. Ich hab ihm seine Kisten gebracht, weil er sie monatelang trotz Aufforderung nicht abgeholt hat, und wollte am nächsten Tag zurück. Ich weiß nur noch, dass ich in seinem Haus eingeschlafen und im Krankenhaus wieder aufgewacht bin.«
    Die Hand, die die Zigarette zum Mund führte, zitterte.
    »Jacek sitzt in Untersuchungshaft.«
    »Was hat er denn diesmal angestellt? Seinen Wein ohne Steuerbanderole verkauft?«
    »Raubmord. Es ging um Geld.«
    Sie verschluckte den Rauch und hustete. »Das ist nicht dein Ernst.«
    »Auf dich ist ein Haftbefehl ausgestellt.«
    »Ach nee.« Sie stieß ein verächtliches Schnauben aus und sah mich an. Dann begriff sie, dass ich es ernst meinte. »Das kann doch nicht wahr sein. Ich habe eine ordentliche Privatinsolvenz angemeldet. Meine Lizenz ist futsch. Das ist bitter. Aber ich werde bestimmt was anderes finden. Weißt du, ich habe schon länger darüber nachgedacht, noch mal ganz von vorne anzufangen. Ich bin bei null, in jeder Hinsicht. Vielleicht gehe ich ins Ausland.«
    »Nicht, solange Interpol dich sucht.«
    »Interpol? Jetzt mach mal halblang.«
    »Jacek hat eine ziemlich schlaue Anwältin. Sie will ihn raushauen, und das gelingt ihr am ehesten, wenn sie ihn zum Handlanger herabstuft. Du warst in der Tatnacht bei ihm. Damit stehst du als Tatverdächtige ganz oben auf der Liste.«
    »Auf welcher Liste? Vernau, ich habe keine Ahnung, von was du redest. Ich will nach Hause, okay? Geht das? Kannst du mich nach Hause bringen?«
    »Nein«, sagte ich leise.
    Sie nahm einen letzten Zug und warf die Kippe in den Fluss. Ich hörte das Zischen, als die Glut erlosch. Morgenwind streichelte die Wipfel der Bäume. Im Osten färbte sich der Himmel dunkelrot.
    »Warum nicht?«
    »Weil die Polizei dort auf dich wartet und nach Polen ausliefert. Ich möchte, dass du dich an einem sicheren Ort versteckst, bis du wieder eins und eins zusammenzählen kannst.«
    »Du machst Witze. Vernau, ich warne dich. Mach keine Witze mit mir. Nicht hier. Nicht jetzt.«
    Das Wasser schlug an die Eisenketten, wirbelte und plätscherte um sie herum. Noch war es Nacht, noch war der Morgen nicht

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