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Versunkene Gräber - Roman

Versunkene Gräber - Roman

Titel: Versunkene Gräber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Hirtenstock, ließ den Rechen sinken. Er trug ein graues Unterhemd, darüber einen ausgeblichenen Arbeitsoverall. Er hatte schlohweiße Haare, die ihm in alle Himmelsrichtungen vom Kopf abstanden. In seinem länglichen, faltenzerfurchten Gesicht blitzten braune Augen unter buschigen Brauen. Jaceks Augen.
    »Wer ist das?« Sein Deutsch war wohlartikuliert und bedacht.
    »Ein Freund. Joachim Vernau aus Berlin. Ein Freund von Jacek und mir. Erkennst du mich, Marek? Marie-Luise?«
    »Mar… Marysia …« Marischa, klang es aus seinem Mund. »Ja … Wo ist Jacek jetzt? Was haben sie mit ihm gemacht? Hast du Nachricht von ihm?«
    »Nein. Aber Herr Vernau wird ihm helfen.«
    Große Versprechungen. Ich hätte sie am liebsten angefahren, den Mund zu halten. Der Mann machte sich Sorgen. Bisher hatte ich noch nicht einmal die Chance gehabt, seinen Sohn auch nur aus der Ferne zu sehen. Wahrscheinlich wusste er gar nicht, was man ihm zur Last legte.
    Prompt geschah, was immer geschah, wenn man mich wie Kai aus der Kiste oder als letzten Trumpf aus dem Ärmel zog. Marek lächelte mich vertrauensvoll an. Er nahm den Rechen in die Linke und reichte mir die rechte Hand. Sie war kräftig und schwielig. Dabei musterte er mich von oben bis unten.
    »Guten Morgen«, sagte ich. »Verzeihen Sie, wenn wir hier so überraschend auftauchen.«
    »Gut, gut«, murmelte der alte Mann. Er wandte sich um und schlurfte auf das kleine Haus zu. Als er es erreicht hatte, stellte er den Rechen an die Hauswand und drehte sich zu uns um. »Proszę wejś ć  – Treten Sie ein.«
    Das Haus war noch kleiner, als es von außen den Anschein erweckte. Drinnen roch es nach alter Kleidung, Schlaf und Kaffee. Auf dem Tisch in der winzigen Küche stand eine Kanne mit angeknackster Tülle. Marek suchte in den offenen Regalen nach Bechern. Marie-Luise half ihm dabei, bevor Mehl, Tee, Siebe und Töpfe auf dem Boden landeten.
    Wir setzten uns an den Tisch. Das Erdgeschoss schien nur aus diesem und einem weiteren, ebenfalls sehr kleinen Raum zu bestehen. Darin erkannte ich eine Liege und Regale bis unter die Decke, die sich unter Büchern bogen. Alles war voll mit Büchern. Sie stapelten sich auf einem kleinen Tisch neben dem Bett, auf dem Bett, auf dem Boden, lagen aufgeschlagen und durcheinander auf dem Fensterbrett, sogar im Backofen entdeckte ich einen Stapel. Marek setzte Prioritäten. Keine Ahnung, wo er nachts schlief. Wahrscheinlich auf Büchern.
    »Wo ist Jacek?«, fragte er.
    Marie-Luise warf mir einen Blick zu, der mich traf wie ein klebriger Pott Pech. Dein Job, hieß das. Erklär du es ihm.
    »Herr … Zieliński?«, fragte ich. Marek nickte. »Ihr Sohn ist in Poznań in Untersuchungshaft. Er soll einen Mann erschlagen haben, hier, in Janekpolana.«
    »Der Mann vom Friedhof«, murmelte Marek. »Der verfluchte Mann.«
    »Nun, jetzt ist er tot. Die Polizei …«
    »Er ist nicht tot.«
    »Bitte?«
    Marek schlürfte einen Schluck Kaffee und machte Marie-Luise ein aufforderndes Zeichen, uns einzuschenken. »Er kommt immer wieder. Immer wieder. Er ist verflucht.«
    Die lieblichen Auen der Oder erschienen mir nicht wie eine Brutstätte für Zombies. »Horst Schwerdtfeger ist tot. Seine Leiche liegt in der Rechtsmedizin von Poznań. Kannten Sie ihn?«
    Marek dachte nach. »Natürlich. Natürlich kenne ich meinen Sohn. Wo ist er jetzt?«
    »Es hat wohl einen Kampf zwischen Ihrem Sohn und dem Mann aus Hamburg gegeben«, fabulierte ich munter drauflos. »In der Nacht von Samstag auf Sonntag. Haben Sie davon etwas mitbekommen?«
    Er wackelte mit dem Kopf und deutete auf sein rechtes Ohr. »Ich höre nicht mehr so gut. Es ist schwer zu unterscheiden.«
    »Was?«
    »Was die Toten und was die Lebenden sagen.«
    Marie-Luise schüttete still einen Löffel Zucker aus einem alten Marmeladenglas in ihren Kaffee und rührte um. Als sie meinen verstohlenen Blick bemerkte, hob sie die Schultern.
    »Also, haben Sie etwas gehört? Hat die Polizei mit Ihnen geredet?«
    »Ja, ja, sie haben meinen Sohn geholt. Was ist mit ihm? Wann kommt er wieder?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Der Kaffee schmeckte gut. Über Jahre hinweg hatte ich nichts anderes getrunken als verwässerten Cappuccino. Noch nicht mal den bekamen die Deutschen hin.
    »Was war mit Marie-Luise?« Er sah auf meine Begleitung. Dann fuhr er sich mit der Hand über die gefleckten Bartstoppeln an seinem Kinn. »Wollt ihr heiraten?«
    Marie-Luise verschluckte sich an ihrem Kaffee. Einige beherzte Schläge auf den Rücken

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