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Versunkene Gräber - Roman

Versunkene Gräber - Roman

Titel: Versunkene Gräber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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April, und bald wird der Frühling kommen. Doch kommt der Sieg? Wer redet noch davon in diesem verwüsteten Land? Die rote Fahne hängt an den Fenstern, und die polnische Miliz hat freie Hand. Diebes- und Räuberbanden ziehen durchs Land. Ein Dekret hat den Deutschen jedes Eigentum genommen, so auch uns, lieb Rosa. Ich kann keine Bahnkarte mehr kaufen, selbst wenn ich Dokumente hätte, und Polen dürfen Deutschen nicht mehr die Hand geben. Man spricht davon, dass die Reichsmark ungültig wird. Hab keinen Groschen mehr, also rührt es mich nicht.
    Ich muss in meinem Versteck bleiben. Die Geheimpolizei nimmt alle deutschen Männer fest, wer vermeintlich ein »Hitlerist« ist, wird erschossen. Dabei sind die echten schon längst geflohen. Wer hiergeblieben ist, tat es in gutem Glauben an seine Unschuld. Sich keines Polen gegenüber schuldig gemacht zu haben, kein Nationalsozialist zu sein – das waren die meisten. Der gute Jeschke, die fleißigen Reichlings … Die Miliz durchkämmte die Häuser. Alle zwischen siebzehn und fünfzig sollten sich melden und kamen ins Arbeitslager, Frauen in Offiziersbordelle … mit Zwang und Gewalt wurden die Letzten über die Grenze deportiert. In Johannishagen umstellten Soldaten nachts die Häuser. Mit Gewehrkolben wurden die Leute aus dem Haus geprügelt und mussten unterzeichnen:
    Wir gehen freiwillig.
    Wir stellen keine Ansprüche an den polnischen Staat.
    Wir versprechen, niemals wiederzukommen.
    Magda sagt, bald sprengen sie die letzten Brücken. Lieb Rosa, ich habe Angst. Es ist zu spät, zum Heer zurückzukehren, und zu spät, um sich bei der Miliz zu melden. Ich muss abwarten, bis Ruhe einkehrt und die Bauern wieder aufs Feld ziehen. Dann werde ich nachts über die Furt bei Küstrin gehen. Die Kiste muss vorerst hierbleiben, und wir werden sie holen, eines Tages, wenn wieder Frieden ist. Wir sind nicht verloren, solange das Reich nicht verloren ist.
    Ich küsse dich,
    mein Lieb, unter Tränen.

12
    Jacek Zieliński trug offenbar Kleidung, die man ihm aus Janekpolana gebracht hatte: eine weite, helle Maurerhose und ein ärmelloses T-Shirt, darüber ein helles Hemd mit ausgefranstem Kragen. Seine dunklen Augen blickten klar und wach, die schulterlangen Locken hatte er zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er sah aus wie ein Pirat auf dem Trockenen. Sogar sein Gang, mit dem er sich auf uns zubewegte, erinnerte an einen Seemann: o-beinig, geschmeidig, kraftvoll. Zuzanna schien er Angst einzuflößen oder einzuschüchtern. Sie versteifte sich und hielt die Aktenmappe wie einen Schild vor ihre Brust. Mir wäre es vielleicht ähnlich gegangen, denn seine wilden Tätowierungen und der muskulöse Körperbau gaben ihm eine fast animalische Ausstrahlung. Aber ich kannte ihn. Seine Augen leuchteten auf, als er mich erkannte, und ein strahlendes Grinsen breitete sich in seinem gebräunten Gesicht aus, in das sich ganz langsam die Falten eines exzessiv genossenen Lebens eingruben. Es war, als hätten wir uns erst vor ein paar Tagen zum letzten Mal gesehen – und nicht vor ein paar Jahren.
    »Joe!«, rief er, weil er, genau wie ich, meinen Vornamen nicht mochte.
    Die Vorführbeamten nahmen ihm die Handschellen ab. Er rieb sich die Stellen, obwohl sie ihm nicht wehtun konnten. Es war ein minimales Zeichen von Unsicherheit.
    » Pani Makowska«, fuhr er fort. Sein Lächeln bekam genau jenen Drall ins Unverschämte, das ich bei ihm nicht leiden konnte. Wahrscheinlich, weil es so gut wie nie seine Wirkung verfehlte. »Frau Doktor, Advokatin der Herzen, ich danke Ihnen. Haben Sie auch Frau Hoffmann gefunden?«
    Er sprach deutsch. Zuzanna gefiel das nicht.
    » Niestety nie  – leider nicht«, antwortete sie knapp. »Aber Herr Vernau wird dazu sicherlich mehr wissen.«
    Sie zog einen Stuhl zu sich heran und setzte sich an den Tisch. Ich nahm neben ihr Platz, Jacek uns gegenüber. Er schob seine Pranken weit über die Mitte, als wollte er sein Territorium abstecken. Zuzanna öffnete ihre Aktenmappe, nahm ein paar unbedeutende Unterlagen und einen Notizblock heraus und markierte damit ihre Seite.
    »Wo ist Marie-Luise?«, fragte Jacek. Seine Stimme klang rau.
    Ich wusste, dass er sich seit drei Tagen in einem unwürdigen, stocknüchternen Zustand befand, trotzdem hörte er sich an, als hätte er die letzten Nächte in Gesellschaft mehrerer Flaschen Wodka verbracht. Oder er hatte sich in der Einsamkeit seiner Zelle und der Ausweglosigkeit seiner Situation heiser geschrien, was unwahrscheinlich

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