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Versunkene Gräber - Roman

Versunkene Gräber - Roman

Titel: Versunkene Gräber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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ihrer Mappe und schob es, als sie es gefunden hatte, zu mir. Ich zeigte es Jacek. Er nickte widerwillig.
    »Ja, so eine könnte es gewesen sein. Aber die liegen hier überall herum.«
    »Auf dieser Stange wurden deine Fingerabdrücke festgestellt.«
    »Dann wird sie es wohl gewesen sein.«
    »Weiter.«
    Er kratzte sich hinter den Ohren und fuhr sich dann mit beiden Händen durch die Haare. Ein, zwei weitere Strähnen lösten sich aus dem Pferdeschwanz und fielen ihm lockig in die Stirn.
    »Der Friedhof ist nicht groß. Aber ein ziemlich vertracktes Gelände. Man muss aufpassen, wo man hintritt, damit man nicht auf einmal mit einem Fuß in einem Gerippe steht. Seit Kriegsende ist da nichts mehr gemacht worden. Die Gräber versinken in der Erde. Deutsche Gräber«, setzte er hinzu, als ob das eine Entschuldigung wäre.
    »Deutsche Gräber?«, wiederholte ich.
    »Ja, es war ein evangelischer Friedhof. Er liegt zu weit außerhalb des Ortes, hinter der Biegung. Deshalb ist er geblieben. Die Kapelle auch. Die Leute wollten dort wohl nicht in die Kirche gehen.«
    »Weil sie nicht katholisch war?« Meines Wissens hatte man in Polen nach Kriegsende viele evangelische Kirchen umgewidmet, da fast neunzig Prozent der Bevölkerung römisch-katholischen Glaubens war. Für mich persönlich machte das keinen Unterschied. Es betete sich in allen Kirchen, Tempeln, Moscheen und Synagogen gleich, unter freiem Himmel wie im Bett vorm Schlafengehen, wenn man es denn brauchte. Ich war kein Kirchgänger. Ich lebte in Zeiten, in denen Menschen sich aus religiösen Gründen gegenseitig umbrachten und für den Tod Andersgläubiger beteten. Früher hätte ich jeden, der mir das für das beginnende einundzwanzigste Jahrhundert prophezeit hätte, für verrückt erklärt.
    Jacek schüttelte den Kopf. »Nein. Sie haben den Ort gemieden wegen dem, was fünfundvierzig dort passiert ist. Geistergeschichten, Gruselstorys. Als ob die Wirklichkeit damals nicht schon schlimm genug gewesen wäre. Mein Vater kam als Neunjähriger nach Janekpolona, nachdem die Russen uns aus Lemberg vertrieben hatten. Meine Familie hat damals alles verloren. Als es hieß, in den zurückgewonnenen Gebieten würden Siedler gebraucht, machte er sich auf den Weg und fing hier ganz von vorne an. Alle in Janekpolana kamen von irgendwoher. Aus der Ukraine, aus dem Baltikum, aus Wolhynien, aus allen Himmelsrichtungen, in die man sie vertrieben oder deportiert hatte. Sie kamen in stumme Dörfer. Es gab keine Geschichte, keine Vergangenheit. Niemand war mehr da, der sie erzählen konnte. Also haben die Leute ihre eigenen Legenden mitgebracht. Der Große Christoph aus Livland würde dort Blätter in Gold verwandeln, sagten die einen.«
    Jacek beugte sich noch weiter vor. Er senkte die Stimme.
    »Manche glaubten, der unglückliche Viktor würde dort kurländische Erde verstreuen, die er vom Grab Maijas aus Turaida mitgenommen hatte. Wieder andere schworen, die Geister der letzten Sudauer Heiden hätten sich dort versammelt. Einer behauptete steif und fest, die erfrorenen Weiber von Lviv würden ihre Klagelieder singen und die Tataren verfluchen. Oder der Prager Golem sollte auf dem Friedhof umgehen …«
    »Der Prager Golem ist eine jüdische Legende«, unterbrach ich seine Märchenstunde.
    »Von mir aus. Ist doch egal. Dann war es eben ein Klassentreffen der Geister aus aller Herren Länder.«
    Zuzanna räusperte sich. »Sie hatten offenbar keine Angst, dort nachts herumzustreifen.«
    »Soll ich Angst vor dem Geflüster alter Weiber haben?«, fragte er ärgerlich zurück. »Steine reden nicht. Da haben sich die Leute ihre eigenen Geschichten mitgebracht.«
    »Was war denn fünfundvierzig?«, fragte ich. »Abgesehen vom Kriegsende.«
    »Keine Ahnung. Es interessiert mich auch nicht. Keiner geht freiwillig dorthin, schon gar nicht nachts. Bis plötzlich jemand auftaucht und da rumschnüffelt.«
    »Horst Schwerdtfeger?«, fragte ich.
    »Wer soll das sein?«
    Zuzanna seufzte ungeduldig. »Das wissen Sie doch ganz genau. Der Mann, den Sie in der Nacht von Samstag …«
    Jacek schlug mit der Faust auf den Tisch. Die Beamten legten sofort die Hände auf ihre Waffen.
    »Ich habe niemanden umgebracht, ist das endlich mal klar?«
    »Dann erklären Sie uns endlich , Herr Zieliński, was in jener Nacht geschehen ist!«
    Er hob die Hände, die Beamten entspannten sich wieder.
    »Ich bin los, um nachzusehen. Kaum war ich auf dem Friedhof, hat mir jemand eins übergebraten. So war es. Als ich

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