Versunkene Gräber - Roman
unten, was unten, oben … Ich bin zwar im Dunkeln, aber solange Magda mich nicht verrät, ist mein Versteck sicher.
Die Hölle ist draußen, vor der zerborstenen Tür. Es gibt keine Lebensmittelkarten für Deutsche, der Typhus grassiert. Viele erfrieren auf den Transporten, Kinderleichen werden aus Zugfenstern geworfen, in Berlin kommen Waggons mit Toten an … und dann die Nachrichten, unfassbare Nachrichten von dem, was wir den Polen und Juden angetan haben. Lieb Rosa, wir haben hier in Johannishagen friedlich miteinander gelebt. Du und Gott, ihr seid mein Zeuge, nie hab ich eine Hand erhoben, nie hab ich jemanden gering geachtet. Diejenigen, die dieses Grauen angerichtet haben, sind schon längst geflohen und waren die Ersten, die ihre Pfründe in Sicherheit brachten. Geblieben sind die Alten, die Armen, die kleinen Leute, Frauen und Kinder. An denen wird nun Rache genommen, und Magda sagt, dies sei gerecht. Sie nennen es »die Entdeutschung«. Sie will sich »polonisieren«.
Die Liebe zu ihrem Zygfryd scheint etwas abgekühlt. Dennoch will sie bleiben. Sie weiß nicht, wohin ins Reich. Ich habe ihr angeboten, ihr einen Brief an deinen Vater mitzugeben, aber sie hat abgelehnt. Hamburg steht in Flammen, heißt es. Ihre Eltern leben in Gipsthal. Sie sind zu alt für eine Flucht. Es ist schon eine erschreckende Zeit, voller verstörender Wunder. Als sie zu uns kam, damals, noch vor dem Krieg, war sie ein mageres Mädchen, das um Arbeit für Brot bat und mich mit »Herr« anredete. Als ich zurückkehrte, war sie die Herrin und ich der rechtlose Knecht. Nun sitzen wir manchmal zusammen, bei einer Flasche von dem Roten, dem einfachen, den sie einst mit den Rolltüchern und den eingemachten Bohnen vergraben und nun wieder herausgeholt hat, denn von unserem ist nichts geblieben außer Scherben und zersplitterten Fässern, und freuen uns beim Kerzenlicht, dass die Russen die Milchkannen mit diesen Schätzen nicht entdeckt haben.
Als ich gezogen wurde, vom Weinberg weg mitten in der Lese, trotz meinem steifen Bein, da hab ich geschworen, meinem Lande treu zu dienen. Bei meiner Ehre, das weißt du, und Treu und Ehr sind keine leeren Worte für mich. Ich will nicht lamentieren, mein Lieb. Auch nicht einstimmen in den Tragödienchor, der düster singt: Es wird kein gutes Ende nehmen … Mein Lieb, ich glaube fest an Gott, und wenn sein Weg mich in die Dunkelheit geführt hat, so will ich dieses Schicksal klaglos auf mich nehmen. Er wird mich auch wieder hinausführen.
Ungeduldig warte ich auf eure Nachricht, doch Magda, die gute Magda, wie traurig schüttelt sie den Kopf, wenn sie in mein Versteck kommt. Vielleicht werden eure Zeilen abgefangen? Ich habe ja keine Adresse mehr. Es gibt mich wohl auch nicht, tot soll ich sein, so sagte sie mir. Tot, gefallen an der Burschener Schleife, dies war die letzte verbürgte Nachricht von mir, die dich erreichte. Kummer und Zweifel nagen an mir. Magda schwört, dass sie meine Briefe zur Post gebracht hat. Sie schwört auch, dass nun fremde Leute in unserem Hause sitzen.
Ich glaubte ihr nicht, und so schlich ich eines Nachts hinaus, um mich zu überzeugen. Das Haus, Röschen, unser Haus!, es bietet nicht den Flüchtlingen Obdach, sondern Siedlern. Vier Familien sollen es sein, zwei Dutzend Menschen wohl, sie drängen sich bis unters Dach. Im Kutscherhaus auch, obwohl es dunkel dalag. Doch ich sah Wäsche auf der Leine, und ein Hund schlug an, diese Schätze zu bewachen. Magda hat jetzt eine Kammer unterm Dach im Haus der Jeschkes drüben in Johannishagen. Das war ein kurzer Traum, den sie mit ihrem Zygfryd geträumt hat …
Dann ging ich ins Dorf. Ach, hätte ich es nie getan! Die Brücke ist zerstört. Es gab wohl Kämpfe, die Hälfte der Häuser ist zerschossen, die andere verbrannt. So ist es wahr, was wir noch letzten Sommer von Onkel Siegfried aus Lublin hörten, dass die Menschen ihre Höfe verlassen hatten, um nach Westen zu ziehen (und von der SS zum Teil an den Haaren wieder zurückgezerrt wurden), und dass die Evakuierung viel zu spät, im Donner nahender Geschütze, angeordnet wurde … Wie gut, dass du nach Weihnachten aufgebrochen bist, keine Stunde, keine Minute zu spät. Was Magda unter Tränen stammelte, lässt mir immer noch das Herz gefrieren. Die Köhlers und die Reichlings wurden nach Sibirien deportiert … Noch liegt der Schnee, noch ist es nicht vorbei, mein Lieb. Man sagt, im Frühjahr, wenn es taut, wird der Fluss all die Toten freigeben.
Nun ist es
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