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Versunkene Gräber - Roman

Versunkene Gräber - Roman

Titel: Versunkene Gräber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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geheiratet. Und dann kam ich. Vati hat sich redlich Mühe mit Horst gegeben, aber … es hat irgendwie nicht funktioniert. Und mit uns beiden Kindern auch nicht. Wir waren altersmäßig zu weit auseinander. Als ich in die Schule kam, war er ja schon fast aus dem Haus. Heute denke ich, bei all dem Zeug über Frauen im Beruf und alleinerziehende Mütter – Horst hätte eine Familie gebraucht. Ich hab sie gehabt.«
    Wolfgang schob eine freie Pranke auf ihr Knie und tätschelte es wohlwollend. Ich hätte Frau Fellner erklären können, dass die Vater-Mutter-Kind-Konstellation allein keine Garantie auf eine glückliche Kindheit war. Ich hätte ihr erzählen können, wie es bei uns zu Hause ausgesehen und wie oft ich meinen Vater zum Teufel gewünscht hatte. Aber ich ließ es bleiben, weil in Horsts Fall wohl einiges schiefgelaufen war.
    »Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
    Wieder der schnelle, scheue Blick zu ihrem Mann. Obacht, dachte ich. Sie holt sich Rückendeckung für eine Lüge.
    »Zu seinem Geburtstag. Vor vier Wochen. Das war sein Fünfzigster, deshalb waren wir da. Nicht, Wolfgang?«
    Wolfgang brummte zustimmend. Ich war mir sicher, dass sie etwas verschwieg.
    »Wir haben ihn besucht. Er hat ja sonst niemanden, mit dem er feiern kann. Weihnachten ist er auch immer allein. Aber irgendwie …«
    »Ich hol mal ein Bier«, sagte Wolfgang und wuchtete sich aus seinem Sessel. »Wollen Sie auch eins?«
    »Ja, gerne.«
    Kaum war er zur Tür hinaus, fragte ich: »Was war mit Horst?«
    Frau Fellner senkte die Stimme, damit ihr Gatte nicht mitbekam, was sie mir anvertraute. »Ich hab ihm immer was zugesteckt. Wolfgang sollte das nicht wissen, er und Horst haben sich nie leiden können.«
    »Hatten Sie danach noch einmal Kontakt?«
    »Nein«, sagte sie schnell. Zu schnell.
    »Konnte er das Geld gespart haben?«
    Mein Gegenüber schnaubte einen verächtlichen Ton aus. »Gespart. Er hatte noch nicht mal einen Job. Immer mal ein paar Wochen oder Monate, dann Stütze. Er hat ja auch nie was Richtiges gelernt.«
    »Vielleicht eine Frau?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Er hatte es nicht so mit Frauen. Nein, nicht, was Sie jetzt denken. Er hatte in der Hinsicht eigentlich gar kein Interesse. Und ganz offen, eine nette Frau hätte sich auf ihn sicher nicht eingelassen. Sein größtes Glück waren Süßigkeiten und Fernsehen. Er mochte Schokolade so gerne.«
    Plötzlich fing sie wieder an zu weinen. Ich hatte nichts anderes als eine weitere Papierserviette parat und reichte sie ihr. Wolfgang kam aus der Küche, in jeder Hand eine geöffnete Bierflasche. Er setzte sich mit einem Schnaufen, das danach klang, als hätte er gerade nach einem anstrengenden Tag in der Schmiede den Hammer aus der Hand gelegt.
    »Hör doch auf«, mahnte er. »Seit zwanzig Jahren geht das schon so. Immer dieses Geheule, sobald die Rede auf Horst kommt.«
    »Er ist tot!«, schluchzte sie.
    Wolfgang hob sein Bier und nahm einen gluckernden Schluck. »Wer sich in Gefahr begibt …«
    Erstaunlich behände drehte sie sich zu ihm um. »Was redest du denn da für einen Schwachsinn? Gefahr! Gefahr!«
    Wolfgang setzte die Flasche ab und schaute betroffen auf seine Hände.
    »Das Gefährlichste in Horsts Leben war, jedes Jahr den Balkon neu zu bepflanzen!«
    »Trotzdem ist er …«, wagte er noch einzuwenden.
    »Ich weiß, was er ist!«
    Sie sprang auf und lief hinaus. Ich hörte, wie eine Tür aufgerissen und laut zugeschlagen wurde. Betreten schob Wolfgang seine Flasche auf dem Tisch hin und her.
    »Dieser Nichtsnutz«, grummelte er. »Seit wir uns kennen, geht es um Horst. Jahrelang haben wir ihn mit durchgeschleift. Nie ist was von ihm zurückgekommen. Aber er ist ja ihr Bruder. Ja.«
    »Ihr Halbbruder«, warf ich ein.
    »Kommt nichts Gutes bei rum, sag ich. Der hätte irgendwann lernen müssen, auf eigenen Füßen zu stehen. Na ja.«
    »Was war an seinem Fünfzigsten?«
    Ich traute Wolfgang zu, offener über die Familiengeheimnisse der Halbgeschwister zu reden. Ich hatte mich nicht getäuscht. Und tatsächlich: Jetzt sah er kurz über die Schulter, ob Mariechen auch nichts mitbekam von dem, was er loswerden wollte.
    »Er hat blödes Zeug geredet. Ständig hatte er irgendwelche Pläne. Wenn sie schiefgingen, war er nicht dran schuld, sondern der Rest der Welt.«
    »Welche Pläne waren das denn?«
    »Keine Ahnung. Ich mach was ganz Großes, hat er getönt. Bei Horst musste es immer das ganz Große sein. Dabei ist er schon im Kleinen nicht

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